Die ersten Holzhütten in den Sümpfen der Lagune¬ - wann sind sie entstanden und vor allem: warum? Schließlich war nicht einmal Venedigs Boden unter den Füßen sicher. Wie konnte diese ärmliche Siedlung zu einer europäischen Großmacht aufsteigen? Von Thomas Morawetz (BR 2021)
Credits
Autor: Thomas Morawetz
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Irina Wanka
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Arne Karsten, Dr. Francesco Borri
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK & ATMO Wasserwellen, Frösche
SPRECHERIN
Kann man es sich so vorstellen? Beginnt so der einzigartige Zauber, der Venedig weltberühmt machen wird? Haben die ersten Besiedler dieses Ortes mit ihren Kähnen einfach angehalten? An ein paar beieinanderliegenden Inseln im brackigen Sumpf… So muss es damals auf jeden Fall in der Lagune ausgesehen haben. Dr. Arne Karsten ist Historiker an der Bergischen Universität Wuppertal und der Autor mehrerer Bücher über die Geschichte Venedigs:
1 Zusp. Karsten
In der Spätantike, da gab es eine ganze Serie von Lagunen im Bereich der nördlichen Adria. Ein ganz eigenartig amphibischer, könnte man sagen, Lebensraum, zum Meer getrennt durch schmale Sandbänke, die sogenannten Lidi. Vom Land kommt Wasser nach durch Flussmündungen, und so haben wir einen Lebensraum der höchstgradig labil ist, bedroht einerseits durch Sedimentierung aus den Flüssen oder Erosion vom Meerwasser, was zufolge hatte, dass tatsächlich auch die meisten dieser Lagunen heute verschwunden, sind, entweder vom Meer gefressen oder vom Lande zugespült.
MUSIK & ATMO Wasserwellen
SPRECHER
Ein Wunder, dass man in einer solchen Landschaft überhaupt eine dauerhafte Siedlung anlegen konnte. Zunächst musste der sandig-sumpfige Untergrund für Hütten und Holzhäuser stabil befestigt werden. Wie genau die ersten Hüttenbauer dabei vorgegangen sind, weiß man heute nicht mehr. Aber das Prinzip, wie man unter diesen Bedingungen sicheren Grund zum Bauen gewann, ist für spätere Jahrhunderte belegt – und auf diesem Prinzip steht Venedig bis heute.
2 Zusp Karsten
Die entscheidende Rolle spielt dabei, das Einrammen von idealerweise in Teer getränkten Baumstämmen in den sandigen, morastigen Untergrund. Wenn diese Baumstämme dann tatsächlich unter Wasser sind, halten die ewig. Das Problem ist immer, Oxidation und Zerstörungsprozesse setzen ein, wenn durch Tidenhub, durch unterschiedliche Wasserhöhen, Luft an diese Stämme kommt.
MUSIK
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Auf diese eingerammten Pfähle nagelte man Bretter. Sie gaben das Fundament, auf das gebaut wurde. Viel später trugen solche Holzgerüste auch riesige Steinlasten. Die prächtige Kirche Santa Maria della Salute am Ausgang des Canal Grande wurde im 17. Jahrhundert erbaut. Sie steht auf über einer Million solcher Pfähle.
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Doch soweit ist es noch lange nicht, als die ersten Hütten am heutigen Canal Grande entstehen. Die Hauptwasserader Venedigs mündet im Süden der Stadt in die Lagune. In der Spätantike konnte man es vielleicht noch deutlicher sehen: Der Verlauf des Canal war ursprünglich Teil einer Fluss-Mündung. Der Fluss Brenta aus den Alpen suchte sich hier einen Weg zum Meer. Erst über 1000 Jahre nach der ersten Besiedlung des Orts gräbt Venedig diesem Flussarm ein neues Bett, das ihn heute südlich von Chioggia in die Adria leitet. Der Canal Grande: Vielleicht wurde also diese Stelle in der Lagune für eine Siedlung gewählt, weil sie über eine Flussströmung gut vom Festland aus zu erreichen war – und gut zum Meer hin lag.
SPRECHERIN
Aber warum sollten Menschen einen solchen völlig unwirtlichen Ort besiedeln? Sicheres weiß man über diese ersten Anfänge Venedigs nicht, aber der Hintergrund lässt sich ermitteln. Er ist eng verbunden mit der politischen Großwetterlage der Spätantike. Ein Rückblick: Schon länger war das Römische Kaiserreich in eine West- und eine Osthälfte geteilt. Der Westen hatte ebenfalls noch einige Zeit einen Kaiser, allerdings wurde dieser letzte Herrscher Westroms im Jahr 476 abgesetzt. Danach herrschten die Ostgoten in Italien. Ein kurzes Gastspiel. Schon bald eroberte der byzantinische Kaiser Justinian große Teile Italiens für sein Römisches Reich zurück. Viel von der byzantinischen Bau- und Kirchenkunst, die sich bis heute in Italien erhalten hat, ist eine Folge dieser römischen Rückeroberung. – Auch im späteren Venedig. Denn die nördliche Adria samt dem dahinterliegenden Festland bis zu den Alpen war nun der äußerste westlichste Rand des byzantinischen Reichs.
SPRECHER
Lange hielt die Ruhe nicht. Schon wenige Jahrzehnte später brachen die Langobarden in den Raum südlich der Alpen ein. Und sie blieben. Bis heute heißt das Gebiet um Mailand „Langobardenland“ – Lombardei.
SPRECHERIN
Nach und nach festigten die Langobarden ihre Herrschaft. Dabei nahmen sie auf dem Festland, das heute Venedig gegenüberliegt, Städte ein, die für die byzantinische Verwaltung unverzichtbar waren. Die Bevölkerung brauchte einen neuen Plan: Wohin sollte sie ausweichen?
SPRECHER
Direkt vor ihnen, in Sichtweite, lag das weite Terrain der Lagune. Spätestens jetzt werden wohl die ersten Hütten Venedigs gebaut.
SPRECHERIN
Doch waren die künftigen Venezianer überhaupt die ersten Siedler in der Lagune? Der Historiker Dr. Francesco Borri von der Universität Ca‘ Foscari in Venedig:
3 Zusp Borri
La laguna ha una storia di abitazione molto antica. Si è pensato che fosse frequentata dai tempi dei greci e dei romani. La questione spesso per gli storici: da quando esiste un insediamento permanente nella laguna, ossia da quando le persone si sono trasferite permanentemente a vivere nella laguna?
ZITATOR OV
Die Besiedlung der Lagune reicht weit zurück, schon Griechen und Römer sind hier zu belegen. Entscheidend ist aber: Seit wann gibt es eine dauerhafte Besiedlung der Lagune? Wann sind die Leute dort rausgezogen, wollten dort wirklich leben?
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Francesco Borri glaubt, dass es zur Zeit der Langobarden-Invasion in Norditalien durchaus sogar schon dauerhaftes Leben in der Lagune gegeben haben kann. Vielleicht hat schon die Invasion der Ostgoten hundert Jahre zuvor dort vereinzelt Siedlungen entstehen lassen. Doch jetzt war der Druck noch einmal erheblich gewachsen: Die byzantinische Verwaltung musste das Festland vor der Lagune räumen. Die sumpfige Lagune war nun direkt der Rand des Oströmischen Reichs.
SPRECHERIN
Die ersten Holzhütten Venedigs scheinen in diesem Zusammenhang entstanden zu sein: zwischen etwa 500 und 650, zwischen dem Ende des weströmischen Reichs und der Etablierung der Langobarden auf dem Festland. Aber selbst wenn nun erste Hütten am Canal Grande stehen - einen einzelnen Ort, der Venedig hieß, gibt es noch nicht. Denn „Venezia“ ist der Name einer ganzen Region – und das schon seit langem. Francesco Borri:
4 Zusp. Borr:
Venezia non fu una città all'origine. Venezia è il nome di una regione dell'Italia romana. L'Italia romana dei tempi di Augusto era divisa in 10 regioni. La regione di Nord-Est, la regi
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- PublishedFebruary 21, 2025 at 12:30 p.m. UTC
- Length24 min
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