Die dritte Folge des neuen Podcast von Mozilla & ze.tt: über das Internet, Dich & mich!
about:web – der brandneue Podcast von Mozilla und ze.tt
Episode 3 – Macht das Internet einsam?
Protagonisten:
Bjoern Krass – Journalist und Medienexperte Stephan Porombka – Autor „Es ist Liebe“ Jule – hat ihre Langzeitbeziehung über Tinder gefunden
Skript:
Mae Becker: Neulich schrieb ich meinem Mitbewohner Alex eine WhatsApp: „Danke, dass du mein Paket vom Nachbarn abgeholt ist! Da kommt bestimmt bald noch eins. Hatte Kaufrausch!“ Seine Antwort: Aha.
Hä? Was heißt denn, “Aha”? Ist der jetzt sauer? Ist das ein genervtes Aha? Hab' ich was falsch gemacht? Denkt Alex, ich gehe jetzt davon aus, dass er meine anderen Pakete auch noch von den Nachbarn holen wird? Findet er, ich shoppe zu viel? Schnell noch eine Sprachnachricht hinterher, um alles gerade zu bügeln! Wäre natürlich nicht nötig gewesen – Alex hatte „Aha“ geschrieben, weil er gerade voll bepackt unterwegs war.
Kennt ihr solche Unterhaltungen? Eigentlich ist das Smartphone mit seinen endlosen Apps und Tools ja dazu da, uns den Alltag zu erleichtern. Aber das Potenzial für Missverständnisse und und andere Stolpersteine ist groß. Manchmal hat man dann aber doch das Gefühl: Hier werden jetzt Probleme gelöst, die es vorher so gar nicht gab.
Genau darum soll es auch in dieser Folge von about:web gehen: Wie verändert das Leben im Netz unsere Beziehungen? Vernetzt es uns oder trennt es uns ?
[Jingle]
Mae Becker: Die Möglichkeiten des Internets sind nicht mehr wegzudenken aus unserer Welt. Seien wir mal ehrlich: Wer möchte schon ernsthaft verzichten auf WhatsApp, YouTube oder Wikipedia? Die Digitalisierung hat unser Leben wie nebenbei auf links gedreht – und dabei vieles vereinfacht.
Ist es also nur logisch, dass wir auch unsere Beziehungen im Internet-Zeitalter neu denken müssen? Oder passiert das vielleicht schon längst? Kinder, die heute geboren werden, kennen keine Welt ohne Internet und Smartphone mehr. Das, was wir noch die neuen Medien nennen, ist für sie nichts Besonderes, sondern stinknormaler Alltag.
Die Wissenschaft bezeichnet diese Kinder, die ab 2010 geboren wurden, als Generation Alpha. Etwa ein Viertel der Unter-Sechsjährigen besitzt heute schon ein Smartphone. Neuesten Umfrageergebnissen zufolge glaubt fast die Hälfte der deutschen Eltern, dass ihre Kinder sie noch vor dem zehnten Lebensjahr überholen werden, was technisches Know-How angeht.
Dementsprechend ausführlich und unbesorgt probieren diese Kinder sich auch im Netz aus. „Kinder müssen draußen bleiben“? Keine Chance! Die Altersbeschränkungen, die WhatsApp, Instagram und Co. in ihren AGB angeben, haben mit der Realität längst nichts mehr mit zu tun. Für Kinder und Jugendliche ist das Internet zum virtuellen Pausenhof geworden. Hier pflegen und leben sie ihre Beziehungen – und das viel schneller und intensiver, als ihre Eltern es getan haben. Kein Wunder: Diese Kinder sind always on. Das Smartphone sorgt dafür, dass sie immer und überall verfügbar sind – jedenfalls, wenn sie verfügbar sein wollen. Gleichzeitig beendet die Generation Alpha aber Beziehungen online auch ohne langes Zögern wieder. Das ganze Konstrukt wirkt unsicherer und zerbrechlicher als früher.
Bjoern Krass ist Lehrbeauftragter für Journalismus und Rhetorik an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin. Außerdem coacht er einige von Deutschlands bekanntesten Influencern. Das Kommunikationsverhalten junger Menschen zu kennen, gehört für ihn quasi zum Job.
Bjoern Krass: Ich bin selber in Grundschulklassen unterwegs seit vielen Jahren, und ich beobachte das bei meinen Schülerinnen und Schülern. Da geht es oftmals einfach gar nicht darum, dass zum Beispiel zielgerichtet miteinander telefoniert wird.
Da wird eine beliebige Person gewählt, auf die hat man dann gerade Lust, und dann wird der WhatsApp-Knopf gedrückt und eine Sprachnachricht gestartet, ohne eine explizite Informationsübermittlungs-Absicht zu haben.
Also, es gibt ganz klar keine konkrete Information, die geteilt wird, außer eben: Ich bin da; ich bin präsent.
Mae Becker: Nähe, Freundschaft, Beziehung – das sind menschliche Grundbedürfnisse. Daran wird auch das Internet nichts ändern. Nicht umsonst sprechen wir schließlich von den sozialen Medien. Das Ziel vieler Apps und Dienste, die wir nutzen, ist es, uns zu vernetzen.
Aber: Gerade von jungen Menschen wird Nähe im Netz immer seltener klassisch gesucht und gepflegt. Sie wird abgerufen, wenn man gerade Lust darauf hat. Wann man eine Sprachnachricht abhört, ob man auf einen Post reagiert, das entscheidet jeder für sich. Nähe on-demand – das treibt dann manchmal seltsame Blüten, wie Bjoern Krass zu berichten weiß.
Bjoern Krass: Es gibt ganz schöne Beispiele internationaler Art. In Japan ist es zum Beispiel so, dass es ganz viele Filme gibt im Internet, wo Menschen essen. Die filmen sich dabei oder werden dabei gefilmt, wie sie essen. Wenn man alleine wohnt und alleine nicht essen möchte, dann holt man sich einen Video-Gast dazu. Der ist nicht live, das ist 'ne Voraufzeichnung. Man isst dann halt zu zweit oder zu mehreren. Es gibt auch Familien, die essen, an denen man dann halt einfach teilnehmen und am Fernseher Teil der Familie sein kann.
Mae Becker: Ein YouTube-Video als Ersatz für das Familienessen oder den WG-Abend? Das klingt doch wie eine Szene aus irgendeinem düsteren Science-Fiction-Film, oder? Nein, meint Krass. Er warnt davor, zu schnell zu urteilen.
Klar, Trends wie dieser werden wohl nie den deutschen Mainstream bestimmen. Sie zeigen aber, wie das Internet unsere Vorstellung von Beziehung beeinflussen kann. Sie belegen, wie bereitwillig gerade junge Menschen diese neuen Möglichkeiten in Anspruch nehmen. Das kann man kritisch sehen. Darüber zu klagen, hält Krass aber für sinnlos:
Bjoern Krass: Wir müssen uns komplett von dem verabschieden, wie wir Beziehung früher noch definiert haben, als gegenseitige Wertschätzung – beispielsweise die Wertschätzung von Charaktereigenschaften oder von Werten, die wir selbst vertreten – sondern es geht darum, wahrgenommen zu werden. Der reine Beweis, ich nehme dich wahr, ist essenziell wichtig geworden für Kinder. Und das ist für sie zählbar: Zählbar in Likes, in Abrufen, in Shares, in Kommentaren. Danach bemessen sie heute die Güte ihres eigenen Daseins.
Mae Becker: So richtig verwunderlich ist diese Entwicklung ja eigentlich nicht. Schließlich arbeiten wir alle mit Gadgets und Plattformen, die es vor 15 oder 20 Jahren noch gar nicht gab. Niemand konnte sich vorbereiten auf die vielfältigen neuen Beziehungsstrukturen, die sich daraus ergeben. Was das Leben online angeht, sind wir alle sowas wie Pioniere – ob wir nun wollen oder nicht.
Genau darum dreht sich auch das Buch „Es ist Liebe“. Darin beschäftigt der Berliner Kulturwissenschaftler Stephan Porombka sich mit der Frage, wie wir unsere Beziehungen im Internet-Zeitalter gestalten können. Mein Kollege Victor Redman hat ihn zum Gespräch getroffen.
Victor Redman: Herr Porombka, Sie haben ja dieses Buch geschrieben, „Es ist Liebe“. Und da sagen Sie – ganz spannendes Statement, fand sicher nicht nur ich –: 'Das Smartphone ist ein Liebesding'. Wie ist das denn zu verstehen?
Stephan Porombka: Das Smartphone ist ein Liebesding auf doppelte Weise. Zum einen ist es ein Gerät, zu dem wir eine Beziehung entwickeln; das wir auch lieben und brauchen; das wir berühren müssen und wollen und von dem wir auch berührt werden wollen, und mit dem wir uns natürlich auch streiten. Das ist, wie alle Liebesbeziehungen, keine einfache Beziehung, die wir da führen.
Zugleich ist es aber auch das Gerät, mit dem wir unsere Liebesbeziehungen mittlerweile organisieren. Das heißt, ganz viel, was diese Liebe ausmacht, findet über dieses Smartphone statt: Das Schreiben, das Senden, das Lesen, das sich Zeigen, das den anderen Angucken, das hat unmittelbar mit diesem Gerät zu tun. Diese Verbindung von beidem, die das nochmal verstärkt, das ist das, was natürlich wahnsinnig interessant ist und was auch für uns neu ist.
Es gibt keine Vorbilder dafür. Wir tragen aber – und jetzt sag' ich wirklich wir – diese Geräte bei uns. Und weil es keine vorgefertigten Regeln dafür gibt, weil uns niemand sagt, wie wir damit unsere Liebesbeziehungen zu führen haben, müssen wir eben damit experimentieren. Und das betrifft jetzt die Zwölfjährigen, die das Handy in die Hand kriegen, genauso wie die 60- oder 70-jährigen, oder die 75- und 80-jährigen, die eben auch mit diesen Geräten kommunizieren und auch mit diesen Geräten lieben.
Victor Redman: Hat das Internet dazu geführt, dass die Liebe sich neu erfunden hat oder neu erfunden werden muss? Brauchen wir also Liebe 2.0 oder 3.0, oder ist das zu hoch gegriffen?
Stephan Porombka: Na ja, erstmal muss man natürlich grundsätzlich sagen, ganz wichtig: Das Konzept Liebe, an das wir glauben, und das wir als romantische Liebe praktizieren, das hat einen historischen Index. Das ist irgendwann entstanden. Das gab es in der Antike nicht, das gab es im Mittelalter nicht. Das ist 'ne spezifisch neuzeitliche Sache, und das fing an sich zu entfalten vor etwa 250, 200 Jahren.
Ich gebe nur den kleinen Hinweis und sage: Es ist kein Zufall, dass unser Konzept von Liebe um 1800 entstanden ist in einem Zusammenhang, wo die Buchkultur boomte und die Briefkultur boomte, und wo es boomte, dass alle schrieben und lasen, und dass plötzlich Medien erfunden wurden, über die man ganz intim miteinander kommunizieren konnte. Und diese Form des intimen Kommunizierens hat eine bestimmte Idee von Intimität überhaupt hervorgebracht.
Wir machen jetzt mal den Schnitt un
Informationen
- Sendung
- Veröffentlicht11. Dezember 2018 um 22:09 UTC
- Länge23 Min.
- Folge4
- BewertungUnbedenklich