9 episodios

In dieser Podcastreihe spricht das Literaturhaus Augsburg mit verschiedensten Gästen über Literatur, Kultur, Ästhetik, das Leben und vieles mehr.

Gespräche an der Wertach LiteraturhausAUX

    • Cultura y sociedad

In dieser Podcastreihe spricht das Literaturhaus Augsburg mit verschiedensten Gästen über Literatur, Kultur, Ästhetik, das Leben und vieles mehr.

    "Pierre D., eine Wolke in Hosen": Die Unschärfe der Person

    "Pierre D., eine Wolke in Hosen": Die Unschärfe der Person

    An einem milden Frühsommerabend machen sich Dr. B und seine Kolleginnen Lisa und Caro auf den Weg. Sie suchen sich ein idyllisches Kiesbänkchen an der Wertach, um umgeben von einem alten Autoreifen und geleerten Wodkaflaschen über Sophie Calles Adressbuch zu sprechen.

    Die Erzählerin findet das Adressbuch eines gewissen Pierre D. und startet ein Experiment. Sie trifft sich mit Freunden und Familie, um, Erkenntnisse über Pierre D. zu erlangen. Nach und nach lassen diese Erkenntnisse ein Bild vor dem inneren Auge entstehen. Dennoch bleibt dieses Bild, trotz verschiedener, interessanter Facetten gleichzeitig leer.  Sophie Calle hat diese Begegnungen mit den Menschen aus Pierres Adressbuch dokumentiert. 1983 erschienen diese Dokumentationen einen Monat lang als Serie in der französischen Tageszeitung Libération. Damals lösten sie einen Skandal aus. Heute wahrscheinlich auch, nur unter dem neuen Begriff “stalking”.

    Heute finden wir im Café vermutlich kein verlorenes Adressbuch mehr. Vielleicht ein Smartphone. Dank Instagram, Google, Facebook und Co ist es ein leichtes, verschiedene Aspekte einer Person herauszufinden. Man gibt wenige Schlagwörter in eine Suchmaschine ein oder ruft das Profil desjenigen auf. Aber gelingt ein Kennenlernen so besser?

    Werte Zuhörer, haben Sie schon einmal eine Person digital erkundet, vielleicht sogar gestalked? Auf Datingplattformen à la Tinder stellen sich Menschen mithilfe weniger Bilder, Sentenzen oder Pseudo-Wisdoms vor. Die einen zeigen ihr pornösestes Duckface, ihre Thighgap oder den Monsterbizeps, die anderen lichten sich beim Eiswasserfallklettern, mit der anspruchsvollen Lektüre oder beim Kröten-über-die-Straße-Tragen ab. Auf jeden Fall skizziert man ein Bild seines eigenen Lebens, wie man sich gerne sehen würde. Am besten authentisch, selbstbewusst und „mit beiden Beinen im Leben stehend“.

    Ist es möglich, oder besser: will man ein „authentisches“, bruchloses Bild abgeben? Heute, im Zeitalter der sogenannten Achtsamkeit, wird oft postuliert, dass es wichtig sei, authentisch, man selbst, mit sich im Reinen oder angekommen zu sein. Für mich sind das inhaltsleere Begriffe. Was soll das bedeuten, authentisch, also echt zu sein? Ist das überhaupt relevant oder erstrebenswert? Ist nicht alles, auch das Sich-Verstellen, ein authentischer Teil meiner selbst? Ist nicht das Gesellschaftlich-Aufgezwungene, von dem ich mich vermeintlich befreien muss, für mich genauso echt wie das angeblich Unverstellte? Was ist echt? Ist „wissen was man will“ echt oder darf man als Mensch widersprüchlich sein?

    Die Gleichung, je mehr eine Person über ihr Leben teilt desto besser lernt man sie kennen, geht nicht auf. Ist es nicht reizvoller, jemanden zu treffen, der nicht schon vermeintlich jeden Aspekt seines Lebens ablichtet? Denn je weniger man (hoffentlich nur im übertragenen Sinne) blankzieht, desto mehr gibt es zu entdecken.

    Sehr verehrte Zuhörer, achten Sie stets darauf, dass Ihrem so konzipierten Bild noch zahlreiche Puzzleteile fehlen, die jederzeit eingefügt oder ausgetauscht werden können.

    • 49 min
    Gedichte? Echt jetzt?

    Gedichte? Echt jetzt?

    “Wir wollten über Pornos sprechen!”, rufen Dr. D. und Katrin M. “Nicht über Gedichte.” Ja, warum eigentlich Lyrik? Das fragen sie sich gemeinsam mit Dr. B., während sie auf dem Balkon einer Stuttgarter Altbauwohnung im spärlichen Schatten der Tomatenpflanze sitzen. Dr. B. muss während der gesamten Aufnahmen einen Kinderregenschirm über die Köpfe der Damen halten, damit sie nicht in der Sonne schmelzen. “Ja, warum eigentlich nicht über Gedichte sprechen?”, frage ich mich, das Millennial; ein Wort, das bei Dr. B. oft Schweißausbrüche auslöst. Im gleichen Zug schreibt er für die Kategorie Burning the Midnight Oil einen Text, in dem er über sein Alter klagt; die Jugend, die so kurz war und den schwachen Trost, dass es uns allen irgendwann so ergehen wird - aber unsere Generation nervt. Schon klar. Manchmal wirklich. Im Sommer teilte meine Cousine - ebenfalls Mitte 20 - folgende Weisheit mit mir: “Ja, Literatur ist, glaub’ ich, irgendwie over.” Wenn das für Literatur gelten sollte, dann gilt das für Gedichte allemal, aber wieso? Fehlt die Zeit? Nach einem 8-Stunden-Tag haben die wenigsten Lust und Nerven, ein Gedicht zu lesen und zu verstehen. Oder sind sie dem eigenen Alltag einfach zu fremd? Aber ist nicht beispielsweise Rilkes Der Panther aktueller denn je? Die Band AnnenMayKantereit verarbeitet diese Zeilen in ihrem Song, aber wer erkennt diese Referenz überhaupt noch, wenn Leadsänger Henning von seinem müden Blick und tausend Städten singt, hinter denen es keine Welt gibt? Vielleicht gehört Rilke den Intellektuellen, vielleicht noch den Künstlern, aber da hört es meist auf. Doch bleibt dann wirklich nur noch diese furchtbare Pseudo-Poesie, die einem als Wandtattoo “Lächle und die Welt verändert sich.” entgegenschreit, oder Instagram Captions, die mir etwas von “Good vibes only” erzählen? Vielleicht sind Gedichte gar nicht “over”, vielleicht sind sie nur leiser als all diese künstliche Wortaufplüscherei. Eine Antwort habe ich nicht.

    Jetzt aber zurück zu der Generation, die uns so furchtbar findet. Hat sie eine Antwort, oder geht’s dann doch nur um Pornos? Mit dem Alter kommt ja angeblich auch die Weisheit, oder, Dr. B.?

    • 42 min
    Ein Bild, auf dem es nichts zu sehen gibt oder: Der kalte Rausch der Kommunikation - Leif Randts "Allegro Pastell”

    Ein Bild, auf dem es nichts zu sehen gibt oder: Der kalte Rausch der Kommunikation - Leif Randts "Allegro Pastell”

    "Die Obszönität beginnt, wenn es kein Schauspiel, keine Szene, kein Theater, keine Illusion mehr gibt, wenn alles dem kalten, unerbittlichen Licht der Information und Kommunikation ausgesetzt ist. Wir erleben nicht mehr das Drama der Entfremdung, wir erleben die Ekstase der Kommunikation."

    Aus: Das Andere Selbst von Jean Baudrillard, erschienen im Jahr 1987

    Wir haben rüber gemacht, haben den Wertachstrand und die goldenen Sonnenuntergänge Oberhausens hinter uns gelassen, um jenseits der Alpen im gleissenden Licht der Grossstadt zwischen Bankentürmen und Versicherungswolkenkratzern abzutauchen. Hier in Zürich gibt es dreckiges Geld und saubere Luft, schlechte Brezen und guten Kaffee. Es gibt Subkultur und Überpopulation.

    In einem Café sitzend, sich den letzten Sonnenstrahlen des Sommers hingebend, verschlingt Dr. B seine softscrambled eggs auf sourdough bread binnen weniger Minuten. Er hat immer noch Angst, dass sich wieder diese unsichtbare Hand um seinen Hals legt und zudrückt. Katrin M. hat das auf der Fahrt schon beobachtet: Denn sobald sie auf Tanja und Jérôme zu sprechen kommt, fängt Dr. Bs Gesicht an, Rot zu werden und zu zucken. Aber es muss sein, sie kann ihm diese Diskussion jetzt nicht ersparen.

    Dr. B und Katrin M. brauchen Neutralität und die Idee von Basisdemokratie, um über Tanja und Jérôme zu sprechen, über das Buch «Allegro Pastell». Der Roman von Leif Randt begleitet Tanja, eine Romanautorin und Jérôme, einen Webdesigner, zwischen Frankfurt und Berlin – long distance, alles andere wäre für die beiden auch keine Option. Tanja und Jérôme, sie sind voller Liebe füreinander, aber vor allem für sich selbst. Und das zelebrieren sie. Ebenfalls und ausschließlich für sich selbst.

    Das Café, in dem sich Dr. B und Katrin M. befinden, liegt im Kreis 4, mitten in Zürich. Unweit der Bäckeranlage versteckt sich das grün gekachelte Gebäude zwischen Grundschule, Saunaclub und gehobener Weinhandlung. Nackte Betonwände, reduziertes Mobiliar, im Hinterhof weisse Plastikgartenstühle. Hier würde es auch Jérôme und Tanja gefallen. Nur Steckdosen gibt es zu wenig, fast keine eigentlich, deshalb werden Dr. B und Katrin M. später den Ort wechseln müssen.

    Während das heiße Wasser eine Schneise durch die frisch gemahlene Hondurasbohne gräbt – Katrin M. wartet ungeduldig auf den zweiten Kaffee – wischt sich Dr. B den Mund mit einer braunen Papierserviette ab, checkt noch schnell den Akku des Aufnahmegerätes und drückt dann auf Play.

    • 36 min
    Was Literatur kann!

    Was Literatur kann!

    Der Schatten wandert mit der Drehung der Erde. Auf dem Balkon der Stuttgarter Altbauwohnung hat sich der Schatten der Tomatenpflanze mittlerweile länglich in Richtung Osten verschoben. Dr. Franzi D. und Dr. B. rücken ihm nach, aber etwas ist bei ihnen geblieben. Sie diskutieren eine Frage, die ihnen aus dem letzten Gespräch gefolgt ist: Wieso sollten wir noch Bücher lesen, wenn es viel leichter ist, einen der vielzähligen Streaming-Dienste aufzurufen, sich zurückzulehnen und berieseln zu lassen, während ein Buch immer mit Arbeit verbunden ist? Wenn ich lese, muss ich mich auf das Buch einlassen und anderen Ablenkungen entsagen. Dann müssen sich meine Augen mit den Buchstaben auf dem Papier begnügen, obwohl sie gerade lieber durch den Instagram Feed gleiten würden - was nicht unbedingt befriedigender, sondern schlichtweg einfacher ist. Dr. B. hat mir gestanden, dass er sich in letzter Zeit kaum noch auf Bücher konzentrieren kann und bis spät nachts ausschließlich First Dates auf Facebook schaut. Das sei unbefriedigend und man fühle sich überhaupt nicht angenehm müde wie nach dem Lesen, sondern nur erschöpft und leer.

    Filme und Serien haben, trotz ihrer Beliebtheit, oft einen schlechteren Ruf als Bücher, besonders wenn es sich dabei um eine Adaption eines Buches handelt. Das mag in manchen Fällen wahr sein, aber gilt das wirklich immer? Kann ein Film nicht mindestens genauso gut sein, wie das Buch, auf dem er basiert? Vielleicht liegt der erste Fehler schon darin, diese beiden Medien miteinander zu vergleichen.

    Erzählen müssen wir jedenfalls immer. Doch die Art des Erzählens scheint sich dauernd zu wandeln. Zeitgenössische Literatur erzählt nicht mehr im Stil Thomas Manns und wenn sie das versuchte, könnte ihr das überhaupt gelingen?

    • 25 min
    Lesen versus Netflix

    Lesen versus Netflix

    Ein brauner Topf, aus dem eine Tomatenpflanze wächst, steht auf dem Balkon einer Stuttgarter Altbauwohnung und wirft Schatten. Die grünen Blätter der Pflanze ragen schräg in die Luft, und die Tomaten sind in der Sonne rot und dick geworden. Dr. Franzi D. und Dr. B. haben an einem warmen Sommertag im Schatten dieser Pflanze über Lennart Loß’ Roman Und andere Formen menschlichen Versagens gesprochen und darüber gestritten, ob es sich hier denn wirklich um einen Roman handelt. Das Buch ist dünn und weiß, und sein Cover ziert ein blau, lila, gelber Tintenfisch. Er sieht gut aus - in der Hand, der Sakkotasche oder auf dem Schoß im Cafe. Damit kann man sich sehen lassen.

    Aus dem Gespräch ergibt sich aber eine viel essentiellere Frage: Warum sollten wir überhaupt noch lesen, wenn wir nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommen, und Filme und Serien immer und überall verfügbar, und viel leichter zu konsumieren sind? Auch sie erzählen uns von Geschichten und Welten, in die wir beizeiten fliehen können. Alles, was wir tun müssen, ist hinsehen. Ein Buch hingegen muss gelesen werden, und das ist mit Arbeit verbunden. Wenn es sich um ein gutes Buch handelt, dann bleibt es bei uns. Dann schleichen sich Teile seiner Welt in unseren Alltag ein. Sie legen sich wie ein Filter über unseren Blick und sie verweilen. Als ich mit ungefähr 10 Jahren Ronja die Räubertochter gelesen habe, war ich Ronja - zumindest für ein Vierteljahr. Ich habe kleine Höhlen aus Schulbüchern, Decken und Kissen gebaut und meiner Mutter den Eintritt verboten. Ich habe meine Haare verwuschelt, weil ich genauso wild und rebellisch sein wollte. Oft war ich im Wald und bin geklettert, habe kleine Stöcke und Steine gesammelt, mit nach Hause genommen, einen Bogen gebastelt und eine Feuerstelle auf meinem orangen Teppich gebaut. Meine Höhle war die Bärenhöhle, in der Ronja und Birk sich vor ihren Eltern verstecken. Ich hatte nicht ihren Mut, aber ihre Höhle. Zuhause, nicht im Wald, aber den Unterschied spürte ich gar nicht.

    Filme und Serien können sowas auch, aber anders. Wenn ich lese, sind meine Gedanken freier. Dann sieht Ronja mir irgendwie ähnlich, und die Bärenhöhle sieht ein bisschen so aus wie meine. Bei Film oder Serie sieht alles so aus, wie es sich ein anderer gedacht hat. Ich muss es mir nur ansehen. Eine Welt, die ich mir selber gebaut habe, bleibt länger bei mir, denn ich baue sie nach und nach, Seite um Seite. Ich baue sie in meine Welt, und somit ist sie unmittelbarer und viel näher als alles, was durch einen Bildschirm von mir getrennt ist. Das Buch konkretisiert sich nicht, es bleibt in der Fantasie aktualisierbar. Aber lohnt sich ein Buch eigentlich nur, wenn es bleibt? Auch darüber sind sich Dr. D. und Dr. B. nicht einig.

    • 32 min
    Das Verlangen nach Kaffee und Zigaretten

    Das Verlangen nach Kaffee und Zigaretten

    Katrin und ich sitzen am Fluss, werden von Enten attackiert, und geraten beim Sprechen über Ferdinand von Schirachs Textsammlung "Kaffee & Zigaretten" in ein Gewitter. Wir sprechen darüber, wie man leben sollte in diesem kurzen Leben, wie der Erzähler über das Leben und seine Bedeutung spricht und was Heimat bedeutet. Außerdem kann man an der Wertach super knutschen, sagt Katrin M.

    • 56 min

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