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Lyrik zum Hören. Gelesen von Benjamin Lucas. Jeden Sonntag um 20 Uhr.

Hör-Lyrik Benjamin Lucas

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Lyrik zum Hören. Gelesen von Benjamin Lucas. Jeden Sonntag um 20 Uhr.

    Kurt Tucholsky: Krieg dem Kriege

    Kurt Tucholsky: Krieg dem Kriege

    Krieg dem Kriege

    Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
    Zeit, große Zeit!
    Sie froren und waren verlaust und haben
    daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,
    weit, weit –!

    Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
    Und keiner, der aufzubegehren wagt.
    Monat um Monat, Jahr um Jahr …

    Und wenn mal einer auf Urlaub war,
    sah er zu Haus die dicken Bäuche.
    Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
    der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.
    Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
    „Krieg! Krieg! Großer Sieg!
    Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!“
    Und es starben die andern, die andern, die andern …

    Sie sahen die Kameraden fallen.
    Das war das Schicksal bei fast allen:
    Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.
    Ein kleiner Fleck, schmutzigrot –
    und man trug sie fort und scharrte sie ein.
    Wer wird wohl der nächste sein?

    Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.
    Werden die Menschen es niemals lernen?
    Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
    Wer ist das, der da oben thront,
    von oben bis unten bespickt mit Orden,
    und nur immer befiehlt: Morden! Morden!
    Blut und zermalmte Knochen und Dreck …
    Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.
    Der Kapitän hat den Abschied genommen
    und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
    Ratlos stehen die Feldgrauen da.
    Für wen das alles? Pro patria?

    Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
    Brüder! das darf nicht wieder sein!
    Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
    ist das gleiche Los beschieden
    unsern Söhnen und euern Enkeln.
    Sollen die wieder blutrot besprenkeln
    die Ackergräben, das grüne Gras?
    Brüder! Pfeift den Burschen was!
    Es darf und soll so nicht weitergehn.
    Wir haben alle, alle gesehn,
    wohin ein solcher Wahnsinn führt –

    Das Feuer brannte, das sie geschürt.
    Löscht es aus! Die Imperialisten,
    die da drüben bei jenen nisten,
    schenken uns wieder Nationalisten.
    Und nach abermals zwanzig Jahren
    kommen neue Kanonen gefahren. –
    Das wäre kein Friede.

                                       Das wäre Wahn.
    Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.
    Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
    Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
    Will das niemals anders werden?
    Krieg dem Kriege!
                              Und Friede auf Erden.

    • 4 min
    Erich Kästner: Kennst du das Land?

    Erich Kästner: Kennst du das Land?

    Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
    Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
    Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
    in den Büros, als wären es Kasernen.

    Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.
    Und unsichtbare Helme trägt man dort.
    Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.
    Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!

    Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will
    - und es ist sein Beruf etwas zu wollen -
    steht der Verstand erst stramm und zweitens still.
    Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen!

    Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
    und mit gezognem Scheitel auf die Welt.
    Dort wird man nicht als Zivilist geboren.
    Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

    Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.
    Es könnte glücklich sein und glücklich machen?
    Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein
    und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.

    Selbst Geist und Güte gibt's dort dann und wann!
    Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.
    Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.
    Das will mit Bleisoldaten spielen.

    Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
    Was man auch baut - es werden stets Kasernen.
    Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
    Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!

    • 2 min
    Goethe: Harfenspieler

    Goethe: Harfenspieler

    Harfenspieler
    Wer nie sein Brot mit Tränen aß,

    Wer nie die kummervollen Nächte

    Auf seinem Bette weinend saß.

    Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

    Ihr führt ins Leben uns hinein,

    Ihr lasst den Armen schuldig werden,

    Dann überlasst ihr in der Pein:

    Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

    • 54 sec
    Rilke: Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort...

    Rilke: Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort...

    Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

    Sie sprechen alles so deutlich aus:

    Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

    und hier ist Beginn und das Ende ist dort.



    Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,

    sie wissen alles, was wird und war;

    kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;

    ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.



    Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.

    Die Dinge singen hör ich so gern.

    Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.

    Ihr bringt mir alle die Dinge um.

    • 1 min
    Rilke: Da stieg ein Baum... (Sonette an Orpheus, I.1)

    Rilke: Da stieg ein Baum... (Sonette an Orpheus, I.1)

    Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
    O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
    Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
    ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

    Tiere aus Stille drangen aus dem klaren
    gelösten Wald von Lager und Genist;
    und da ergab sich, daß sie nicht aus List
    und nicht aus Angst in sich so leise waren,

    sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr
    schien klein in ihren Herzen. Und wo eben
    kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,

    ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen
    mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, -
    da schufst du ihnen Tempel im Gehör.  


    Aus: Rainer Maria Rilke. Die Sonette an Orpheus, Erster Teil (1922)

    Gelesen von Benjamin Lucas (C) 2021

    • 1 min
    Hölderlin: Die Liebe

    Hölderlin: Die Liebe

    Die Liebe



    Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all,

    O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht,

      Gott vergeb' es, doch ehret

         Nur die Seele der Liebenden.



    Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst,

    Da die knechtische jetzt alles, die Sorge, zwingt?

      Darum wandelt der Gott auch

         Sorglos über dem Haupt uns längst.



    Doch, wie immer das Jahr kalt und gesanglos ist

    Zur beschiedenen Zeit, aber aus weißem Feld

      Grüne Halme doch sprossen,

         Oft ein einsamer Vogel singt,



    Wenn sich mählich der Wald dehnet, der Strom sich regt,

    Schon die mildere Luft leise von Mittag weht

      Zur erlesenen Stunde,

         So ein Zeichen der schönern Zeit,



    Die wir glauben, erwächst einziggenügsam noch,

    Einzig edel und fromm über dem ehernen,

      Wilden Boden die Liebe,

         Gottes Tochter, von ihm allein.



    Sei gesegnet, o sei, himmlische Pflanze, mir

    Mit Gesange gepflegt, wenn des ätherischen

      Nektars Kräfte dich nähren,

         Und der schöpfrische Strahl dich reift.



    Wachs und werde zum Wald! eine beseeltere,

    Vollentblühende Welt! Sprache der Liebenden

      Sei die Sprache des Landes,

         Ihre Seele der Laut des Volks! 



    Friedrich Hölderlin

    • 2 min

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