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58 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 261, K06, III Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft

    • Bildung

Unter welchen evolutionären Bedingungen konnte sich das Recht zu einem operativ geschlossenen Funktionssystem ausdifferenzieren? Welche Unwahrscheinlichkeiten mussten überwunden werden?

Die wohl grundlegendste Bedingung ist, dass unerwartete normative Erwartungen überhaupt kommuniziert werden. Erst Streit macht klar, dass es unterschiedliche Erwartungen gab. Es entsteht ein Bedarf nach Schlichtung. Je öfter Schlichtung praktiziert wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich damit Erwartungen an eine „endgültige Klärung“ herausbilden, an der sich auch Unbeteiligte in Zukunft orientieren können.

Dabei ist Konsens gerade kein Merkmal des Rechts. Es geht im Gegenteil darum, gerade weil es Dissenz gibt, eine Form zu finden, die es ermöglicht zu entscheiden, welche normative Erwartung für „berechtigt“ erklärt werden kann – und welche nicht. Die Erfindung des Verfahrens machte es dann möglich, den bei einer sozialen Abstimmung noch notwendigen Konsens durch davon unabhängige Verfahrensregeln und Kompetenznormen zu ersetzen, die sich selbstreferentiell auf das Recht beziehen.

Diese Problemlösung bedeutete zugleich ein „Einige für alle“-Prinzip. Damit entscheiden nur noch wenige Experten (Richter und Gesetzgeber), welche Normen für alle gelten sollen.

Dass sich Rollen herausbilden konnten, in denen „Einige für alle“ entscheiden, setzt die Evolution von Schrift voraus. In der stratifizierten Gesellschaft war die Beherrschung des Lesens und Schreibens ein Privileg der höherrangigen Schicht gewesen. Als sich in Europa ca. ab dem 16. Jh. Politik, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft usw. als je eigene Funktionssysteme auszudifferenzieren begannen, ging damit auch ein allmählicher Wechsel der gesellschaftlichen Differenzierungsform einher.

Anstelle einer religiös begründeten Platzierung qua Geburt in die Schicht von Adel oder Volk, kam es zunehmend auf Expertise an, auf Fähigkeiten, Geschick, Ehrgeiz, Talent, „Genie“ usw. Das so entstehende „Individuum“ muss sich zunehmend durch zu erwerbende Fähigkeiten rangmäßig selbst platzieren. In immer mehr gesellschaftlich notwendigen Funktionen kann die einst schichtbedingte Eignung durch Profession ersetzt werden. Der Beruf wird zur sozialen Funktion, die Personen auf Mikroebene erfüllen.

Die Evolution von Verfahren hatte rechtlich weitreichende Konsequenzen: Variation und Selektion sind nicht mehr dasselbe. Sie nehmen zwei unterschiedliche Funktionen an. Ohne Verfahren hatte man Variationen in einer Argumentation invisibilisieren können; die Abweichung war praktisch kaum überprüfbar. Die Selektion hing nur von dem ab, was vorgetragen wurde, sie folgte fast zwangsläufig der Abweichung.

Vollständiger Text auf Luhmaniac.de

Unter welchen evolutionären Bedingungen konnte sich das Recht zu einem operativ geschlossenen Funktionssystem ausdifferenzieren? Welche Unwahrscheinlichkeiten mussten überwunden werden?

Die wohl grundlegendste Bedingung ist, dass unerwartete normative Erwartungen überhaupt kommuniziert werden. Erst Streit macht klar, dass es unterschiedliche Erwartungen gab. Es entsteht ein Bedarf nach Schlichtung. Je öfter Schlichtung praktiziert wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich damit Erwartungen an eine „endgültige Klärung“ herausbilden, an der sich auch Unbeteiligte in Zukunft orientieren können.

Dabei ist Konsens gerade kein Merkmal des Rechts. Es geht im Gegenteil darum, gerade weil es Dissenz gibt, eine Form zu finden, die es ermöglicht zu entscheiden, welche normative Erwartung für „berechtigt“ erklärt werden kann – und welche nicht. Die Erfindung des Verfahrens machte es dann möglich, den bei einer sozialen Abstimmung noch notwendigen Konsens durch davon unabhängige Verfahrensregeln und Kompetenznormen zu ersetzen, die sich selbstreferentiell auf das Recht beziehen.

Diese Problemlösung bedeutete zugleich ein „Einige für alle“-Prinzip. Damit entscheiden nur noch wenige Experten (Richter und Gesetzgeber), welche Normen für alle gelten sollen.

Dass sich Rollen herausbilden konnten, in denen „Einige für alle“ entscheiden, setzt die Evolution von Schrift voraus. In der stratifizierten Gesellschaft war die Beherrschung des Lesens und Schreibens ein Privileg der höherrangigen Schicht gewesen. Als sich in Europa ca. ab dem 16. Jh. Politik, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft usw. als je eigene Funktionssysteme auszudifferenzieren begannen, ging damit auch ein allmählicher Wechsel der gesellschaftlichen Differenzierungsform einher.

Anstelle einer religiös begründeten Platzierung qua Geburt in die Schicht von Adel oder Volk, kam es zunehmend auf Expertise an, auf Fähigkeiten, Geschick, Ehrgeiz, Talent, „Genie“ usw. Das so entstehende „Individuum“ muss sich zunehmend durch zu erwerbende Fähigkeiten rangmäßig selbst platzieren. In immer mehr gesellschaftlich notwendigen Funktionen kann die einst schichtbedingte Eignung durch Profession ersetzt werden. Der Beruf wird zur sozialen Funktion, die Personen auf Mikroebene erfüllen.

Die Evolution von Verfahren hatte rechtlich weitreichende Konsequenzen: Variation und Selektion sind nicht mehr dasselbe. Sie nehmen zwei unterschiedliche Funktionen an. Ohne Verfahren hatte man Variationen in einer Argumentation invisibilisieren können; die Abweichung war praktisch kaum überprüfbar. Die Selektion hing nur von dem ab, was vorgetragen wurde, sie folgte fast zwangsläufig der Abweichung.

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