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BetDenkzettel sind kurze Bet- und Denkanstöße von Fra' Georg Lengerke - in der Regel zu einem Wort aus den Schriftlesungen der Liturgie vom Tag

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    • Religion & Spirituality

BetDenkzettel sind kurze Bet- und Denkanstöße von Fra' Georg Lengerke - in der Regel zu einem Wort aus den Schriftlesungen der Liturgie vom Tag

    Wer wir sein werden 1 Joh 3,1-2

    Wer wir sein werden 1 Joh 3,1-2

    Wer bin ich? Das ist vielleicht die existentiellste Frage, die ein Mensch stellen kann. Ich kenne Menschen, die sich besser, und solche, die sich weniger gut kennen.

    Die sich besser kennen, wissen sowohl um ihre Schwächen als auch um ihre Stärken. Und sie wissen um die Grenzen ihres Wissens von sich selbst. Sie wissen, dass sie mehr sind, als was sie von sich wissen. Wenn es gut geht, lernen sie sich ein Leben lang kennen.

    Die sich nicht so gut kennen, haben Vorstellungen von sich, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Und an denen sie nicht selten ständig scheitern – zusammen mit ihren Nächsten, die gerne wüssten, mit wem sie es zu tun haben.

    Die Frage ist heute von besonderer Brisanz, weil es keinen Konsens darüber mehr gibt, was eigentlich die Kriterien meines Selbst-Seins sind. Was ist mir biologisch und biographisch vorgegeben? Was obliegt meiner Wahl und meiner Freiheit, zu entscheiden, einzuüben oder zu entwickeln? Was ist mir andererseits durch fremde Meinung, gesellschaftliche Konvention oder Zuschreibung auferlegt? Und was davon sollte ich annehmen und was zurückweisen und ablegen?

    Kann ich sein, was ich will? Oder soll ich wollen, was ich bin?

    Die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich jeder Mensch früher oder später. Mit jedem geht sie irgendwie mit. Aber ausdrücklich wird sie nur selten gestellt. An wen sollte man sie auch stellen? Weiß ich nicht selbst am besten, wer ich bin?

    Nicht unbedingt: Andere kannten mich schon, bevor ich mich kannte. Und vielleicht werden andere mich noch kennen, wenn ich mich selbst nicht mehr kenne.

    Aber bin ich andererseits nicht oft genug auch verkannt worden? Oder haben mich Menschen nicht manipuliert, bevormundet und ausgenutzt, indem sie allzu genau zu wissen meinten, wer und wie ich bin?

    Die Offenbarung der Juden und Christen beschreibt den Menschen als Wesen, das sich selbst angesichts eines Anderen kennen und anzunehmen, lieben und hervorzubringen lernt. Nicht, indem er sich narzisstisch im Anderen spiegelt und vor ihm ein Gesicht macht, sondern indem er sich dem Anderen zu erkennen gibt und in der Sicht des Anderen ein Gesicht bekommt.

    Und das wird nicht nur von der Beziehung von Mensch und Mensch, sondern auch von der Beziehung von Mensch und Gott gesagt. Denn die versichtbart sich in der liebenden Beziehung eines Menschen zu seinem Nächsten.

    Wir sind, was wir sind, von Gott her, sagt die Schrift. Und wir werden, was wir sind, zu ihm hin. Und das bedeutet ursprünglich gerade nicht Gängelung, Bevormundung und Knechtschaft, sondern Befähigung, Ermächtigung und Freiheit.

    „Wir heißen Kinder Gottes“, sagt der Erste Johannesbrief, „und wir sind es.“ Ursprünglich war das offensichtlich. Bis zu dem Moment, in dem der Mensch meinte, sich vor Gott in Sicherheit bringen zu sollen, und sich damit auch dem Blick entzog, der ihn vollkommen kennt und liebt.

    Jetzt ist es verborgen, sagt Johannes. Wer Gott nicht denken kann, kann auch den Menschen nicht von Gott her denken. „Deshalb erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.“

    Aber einmal wird es offenbar werden. Wer liebt, erkennt den geliebten Anderen. Und wer sich lieben lässt, weiß, wie es ist, erkannt zu werden. Einer liebt und erkennt uns vollkommen. Deshalb sagt Jesus: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“

    Dieses Gekanntwerden hat schon manchen durch tiefe Dunkelheiten geführt. Einer davon ist Dietrich Bonhoeffer. Im Gefängnis beginnt er ein bekanntes Gebet mit unserer Ausgangsfrage: „Wer bin ich?“

    Bin ich so, fragt er sich, wie die Leute meinen, dass ich bin? Stark und sicher, mutig und entschieden, frei und vornehm? Oder bin ich so, wie ich mich selbst wahrnehme? Schwach und ängstlich, unverlässlich und unberechenbar, getrieben und richtungslos? „Bin ich dieser oder jener?“, fragt Bonhoeffer zum Schluss und endet vor dem, der ihn allein ganz kennt. „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott! Amen.“

    Fra’ Georg Leng

    • 4 min
    Keine Geistergeschichte Lk 24,35-48

    Keine Geistergeschichte Lk 24,35-48

    „Ich glaube nicht mehr an Geistergeschichten!“, sagt Elisabeth Turner in „Fluch der Karibik“, als im Mondschein Leben in die Gerippe einer Gruppe toter Piraten kommt. „Ihr solltet aber an Geistergeschichten glauben, Mrs Turner!“ antwortet der untote Piratenfürst Barbossa. „Ihr seid mitten in einer drin!“

    So kommt es den Jüngern bei der Begegnung mit dem Auferstandenen vor. Als wären sie in eine Geistergeschichte geraten. Aber nicht in eine erzählte, sondern in eine erlebte. Anders konnten sie sich die Begegnung mit dem Auferstandenen nicht erklären.

    Im Film klagt der Pirat Barbossa, dass er weder zu den Lebenden noch zu den Toten gehöre, und weder an den Freuden des Lebens noch am Frieden des Todes teilnehmen könne. Und zum Beweis entkorkt er mit den Zähnen eine Weinflasche und trinkt daraus, während der Wein durch das Gerippe auf den Boden plätschert.

    Jesus bittet um etwas zu essen und isst vor den Augen der Apostel. Er ist kein Geist. Er ist leiblich unter ihnen da. Anders leiblich – verwandelt oder verklärt – wie ihn drei Apostel einige Monate zuvor auf dem Berg gesehen haben. Er geht durch Türen, aber der Fisch, den er isst, fällt nicht zu Boden. Er durchdringt alles, aber nichts durchdringt ihn.

    Es scheint fast, als sei der Auferstandene die wirklichere Wirklichkeit, verglichen mit den Dingen, die ihn nicht länger daran hindern können, bei den Jüngern zu sein.

    Die Leiblichkeit des Auferstandenen ist das eine, was die Evangelisten betonen. Aber es geht nicht nur um Leiblichkeit, sondern um Selbigkeit. Um Identität.

    Um die Identität eines Ausweisträgers mit dem im Dokument Ausgewiesenen zu beweisen, stand bis in die 80ger Jahre hinein in deutschen Reisepässen ein Angabenfeld „Besondere Kennzeichen“. „Blinddarmnarbe“ hätte da bei mir stehen können. Das Feld war aber leer.

    Weil die Jünger den Auferstandenen nicht erkennen, weist er sich aus. Sein Ausweis sind „besondere Kennzeichen“: die Wundmale an Händen und Füßen.

    Es sind Wunden, nicht Narben, die die Jünger sehen. Die Goldene Legende (Legenda Aurea, 13. Jh) berichtet, wie sich dem Hl. Martin von Tours eine herrliche Gestalt als der auferstandene Christus ausgibt. Martin entlarvt den Betrug des Versuchers: „Ich werde nicht glauben, Christus sei gekommen, außer ich sehe ihn in der Gestalt, in der gelitten hat, und mit den Wundmalen seiner Kreuzigung.“

    Was sagt uns der Ausweis der Wunden?

    Die Wunden sagen: „Ich bin es!“ Ich bin derselbe, der euch gerufen, den ihr gehört, dem ihr geglaubt habt und dem ihr nachgefolgt seid, der gegeißelt und gekreuzigt wurde, um den ihr getrauert und den ihr aufgegeben habt.

    Die Wunden sagen: „So seid ihr!“ Weil auch ihr Wunden tragt und verletzt seid – offenbar oder verborgen. Und weil auch ihr Wunden schlagt an Leibern und Seelen – offenbare und verborgene.

    Die Wunden sagen: „So bin ich!“ Ich halte mein Wort, wie der Vater sein Wort hält. Ich lebe euer Leben mit Euch und mache eure Wunden zu meinen Wunden. Ich lasse mich nicht herauswerfen aus der Welt. Ich bleibe – auch unter den Schlägen der Menschen – und liebe euch durch den Tod hindurch.

    Und die Wunden sagen: „So wird es sein!“ Der Himmel und die Gemeinschaft mit Gott ist nicht die heile Alternative zur Welt, sondern ihr Ziel. Alles soll einmal vor Gott kommen und dort geheilt, versöhnt und vollendet werden.

    Ihr braucht euch eurer Wunden nicht zu schämen, sagen uns die Wunden des Auferstandenen. Sie sind eure Erkennungszeichen vor ihm.

    Vor ein paar Jahren habe ich nach Ostern im Libanon über diese Stelle gepredigt. Um mich lauter schwerstbehinderte Menschen und ihre Begleiter. Vor mir saß der zwölfjährige Toufik – den Kopf voller frischer Wunden.

    Und ich dachte: Die Auferstehung Jesu ist keine Geistergeschichte. Die Wunden des Auferstandenen sind so real wie die von Toufik. Und deren Heilung, Versöhnung und Vollendung beginnt bereits da, wo wir die Wunden der Mensc

    • 5 min
    Einander Sichtbares und Unsichtbares glauben Joh 20,19-31

    Einander Sichtbares und Unsichtbares glauben Joh 20,19-31

    „Was brauchst du, um jemandem glauben zu können?“, fragt mich die Freundin während ich mit einem befreundeten Ehepaar wandern bin. Wir sprechen über das Evangelium vom Zweifel des Thomas und seine Begegnung mit dem Auferstandenen. Was brauche ich, um glauben zu können? Wir kommen miteinander auf dreierlei:

    Erstens einen Menschen, den ich für glaubwürdig halte. Zweitens die Heilung meines Misstrauens. Und drittens eine Botschaft, die für mich so relevant ist, dass mir nicht einfach egal sein kann, ob sie wahr ist oder nicht.

    Dann erzählen wir uns von Menschen, denen wir geglaubt haben. Glaube ist Beziehungssache. Geglaubt habe ich immer jemandem etwas.

    „Weil du gesehen hast, Thomas, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus zum Apostel Thomas. Der hatte den übrigen Aposteln den Bericht über die Begegnung mit dem Auferstandenen acht Tage zuvor nicht geglaubt.

    Wenn ich mit Menschen über den religiösen Glauben spreche, sind wir schnell bei der Frage, ob wir das Wissen dem Glauben nicht besser vorziehen sollten, und ob das nicht genüge.

    Etwas wissen im engeren Sinne bedeutet, es selbst gesehen, überprüft und erkannt zu haben. Aber das gilt nur von einem Bruchteil von dem, wovon ich sage, dass ich es weiß. Das meiste, was ich weiß, habe ich anderen geglaubt: Erst den Eltern und Geschwistern, dann Freunden und Lehrern, später Wissenschaftlern und Journalisten.

    Mein Wissen nährt sich aus einem Beziehungssystem, dass auf der Verpflichtung zur Wahrheit, auf Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit gegründet ist.

    Wenn wir uns daran in unserem alltäglichen Tun erinnern, dann stellen wir fest, wie zerstörerisch, ja tödlich für den Einzelnen und jede Gemeinschaft die Lüge ist und das von ihr erzeugte Misstrauen, das wiederum Lügen gebiert. Es gibt relative Erkenntnisse der Wahrheit und Perspektiven auf sie. Wer aber die Wahrheits- und Erkenntnisfähigkeit des Menschen per se leugnet, darf sich über Fake-News und „alternative Fakten“ nicht beklagen.

    „Weil du gesehen hast, glaubst du“, sagt Jesus zu Thomas. Auch die Wahrheit und die Bedeutung des Gesehenen müssen wir glauben, wenn wir es wissen wollen. Dass etwas ist und nicht nur scheint, als ob. Dass Du Du bist und kein anderer. Dass Dein Lächeln Glück oder Freundlichkeit und nicht nur Maske ist. Die Notwendigkeit, uns der Wahrheit anzuvertrauen, nimmt uns keiner ab. Wie sehr wir das getan haben, merken wir oft erst, wenn wir enttäuscht werden.

    In der Begegnung von Jesus und Thomas geht es nun darum, Unsichtbares und einem Unsichtbaren zu glauben: „Selig, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus zu dem zweifelnden Apostel.

    Auch im Alltag ist übrigens oft das Entscheidende selbst unsichtbar. Geist, Liebe, Glück können wir nicht selbst, sondern nur in Anderem sehen. Und auch unsere Nächsten sind mehr als das, was wir von ihnen sehen und messen können. Wir müssen also zunächst – über das Sichtbare hinaus – unsere(!) Nächsten glauben, bevor wir unseren(!) Nächsten und an unsere Nächsten glauben können.

    Noch ist der Auferstandene sichtbar. Aber bald wird er an dieser einen Stelle der Welt unsichtbar sein, um nach Pfingsten an allen Orten der Welt geglaubt und erkannt, geliebt und in der Liebe versichtbart zu werden.

    Wir drei Freunde erzählen einander beim Gehen allerlei Altes und Neues, Ernstes und Spaßiges. Und in allem geht es irgendwie um den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Und wieder einmal staune ich: Der Auferstandene hat sich unseren Beziehungen anvertraut. Es gibt für uns zu ihm keinen Weg an den Anderen vorbei; und es gibt für ihn zu uns keinen Weg an den Anderen vorbei, wenn der Unsichtbare unter uns erkennbar, wahrnehmbar und in seiner Liebe für uns rettend werden soll.

    Ich glaube den Freunden die Gegenwart des Auferstandenen unter uns und seine Liebe zu mir, mit der zusammen ich die Menschen lieben darf.

    Fra' Georg Lengerke

    • 4 min
    Österliche GrabesUnruhe – Wenn eine todsichere Gewissheit erschüttert wird

    Österliche GrabesUnruhe – Wenn eine todsichere Gewissheit erschüttert wird

    (Deutschlandfunk, Am Sonntagmorgen, Ostersonntag, 31. März 2024)

    In der vergangenen Nacht hat die Christenheit begonnen, das Osterfest zu feiern. Die letzten Tage waren in vielen Gemeinden davon geprägt, in Gottesdiensten die letzten Stationen im Leben Jesu nachzugehen. Sie haben seinen Einzug nach Jerusalem gefeiert und des letzten Abendmahls gedacht. Sie haben die Berichte von Gefangennahme und Prozess, Hinrichtung und Kreuzestod Jesu gelesen und gestern an seine Grabesruhe erinnert. Die Feier der Osternacht mündete heute dann in den Osterjubel über die Auferstehung Jesu: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden. Halleluja.“

    In dieser Sendung zum Osterfest möchte ich aus verschiedenen Perspektiven diesen Übergang von der Grabesruhe zum Osterjubel betrachten. Denn beim näheren Hinsehen ist für die Menschen um Jesus die Grabesruhe bereits eine Grabesunruhe. Und das Grab Jesu wird zu der Stelle, an der das Siegesfest des Lebens mit einem Todesschrecken beginnt.

    1. Ruhe sanft!

    Am Ende der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach scheint endlich alles vorbei zu sein. Nach dem Prozess und der Leidensgeschichte bis zum Tod des gekreuzigten Jesus besingt und beweint der Chor den Begrabenen:

    „Wir setzen uns mit Tränen nieder /Und rufen dir im Grabe zu: / Ruhe sanfte, sanfte ruh!“

    Die Grabesruhe Jesu wird in den Tagen vor dem Osterfest eigens begangen. Am Karfreitag wird feierlich und mit verteilten Rollen die Leidensgeschichte Jesu gelesen. Anschließend folgt eine feierliche Kreuzverehrung. Nach dem Gottesdienst ist die Kirche leer und dunkel. Aller Schmuck und jedes Zeichen von Feierlichkeit wird entfernt. Am Karsamstag dann ist alles still. Es werden keine Gottesdienste gefeiert. Die Kirche begeht die Grabesruhe Jesu.

    Für mich hat die Grabesruhe des Karsamstags immer etwas Ambivalentes. Einerseits empfinde ich ein Aufatmen über das „Es ist vollbracht“, das Jesus am Ende seines Lebens spricht. Ich bin erleichtert, dass die Qual ein Ende hat und möchte einstimmen, wenn am Ende der Matthäuspassion der Chor dem Gestorbenen zuruft: „Mein Jesu, gute Nacht!“ und „Ruhe sanfte, sanfte ruh!“

    Andererseits fallen Wunsch und Empfinden nicht selten auseinander, wenn Menschen um einen geliebten Menschen trauern. Die Ruhe, die sie dem Verstorbenen wünschen, stellt sich bei den Trauernden selbst oft lange nicht ein. Der Tod eines lieben Menschen kann uns aufwühlen. Die Liebe sehnt sich nach einem Wiedersehen. Schmerz und Trauer versetzen das Empfinden und Denken in Unruhe. Vor allem dann, wenn es sich um einen plötzlichen oder dramatischen oder gar um einen von anderen Menschen verschuldeten Tod handelt.

    Und wie sieht es angesichts des Todes eines vertrauten Menschen mit der Frage nach Schuld und Vergebung aus? Wenn er an uns oder wir an ihm schuldig geworden sind, ist mit seinem Tod für uns ja nicht einfach alles vorbei. Habe ich eine Hoffnung und einen Willen, dass auch mein Widersacher Versöhnung und Frieden oder vielleicht sogar unsterbliches Leben findet? Und wie soll Versöhnung geschehen, wenn einer unwiderruflich gegangen und die Zeit zum Gespräch verstrichen ist?

    (Der restliche Text erscheint in Kürze auf www.betdenkzettel.de. Bereits jetzt ist er in voller Länge hörbar.)

    • 23 min
    Heute kommt die Verschwendung (Palmsonntag) Mk 14,7

    Heute kommt die Verschwendung (Palmsonntag) Mk 14,7

    Während meines Theologiestudiums war ich bei Freunden zum Abendessen eingeladen. Sie hatten zwei Töchter von vielleicht 13 und 15 Jahren. Vor dem Essen sagt die Mutter in der Küche: „Die Mädchen haben Dir übrigens einen Spitznamen gegeben.“ „Ach so?“ frage ich amüsiert. „Ja, beim Frühstück sagten sie: Heute Abend kommt die Verschwendung.“

    Das war ein liebevoll-spöttisches Kompliment von Teenagerinnen an einen Spätzwanziger, dass dieser nicht bloß aus Mangel an Alternativen Priester werden wollte. Ich gestehe, dass ich damals für ein solches Kompliment nicht unempfänglich war.

    Aber eigentlich ist „Verschwendung“ kein positiv konnotierter Begriff. Sie besteht in einer unverhältnismäßigen, vergeblichen Ausgabe oder Verausgabung. Sie ist ökologisch, wirtschaftlich oder gesundheitlich nicht zu verantworten. Und sie gehört zur Luxuria, der Wollust, einem der Hauptlaster des klassischen Lasterkataloges.

    Die Neckerei der Mädchen hatte mich gefreut. Aber sie erinnerte mich zugleich an eine ernste Lebensfrage. War mein Leben nicht vielleicht wirklich eine Verschwendung? Bedeutete die Entscheidung, Priester und nicht Rechtsanwalt zu werden, ein Erbe nicht anzutreten, das Mädchen, das ich lieb hatte, nicht zu heiraten, keine Kinder und keine Familie zu haben, nicht doch eine vergebliche Vergeudung meines Lebens? Hatte ich mein Leben für einen Irrtum, schlimmstenfalls für eine Ideologie und Pfaffenlüge eingesetzt? Später wurden mir solche Fragen von anderen auch weniger freundlich gestellt.

    Am Beginn der Heiligen Woche wird am Palmsonntag die Leidensgeschichte Jesu gelesen. Vor dessen Ankunft in Jerusalem erzählt Markus von einer Begegnung in Betanien bei der eine Frau (bei Johannes ist es Maria, die Schwester der Freunde Jesu Marta und Lazarus) mit einem Alabastergefäß von „echtem, kostbarem Nardenöl“ an Jesus herantritt und ihm das Haupt salbt.

    „Wozu diese Verschwendung?“, murren die Jünger Jesu. „Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denáre verkaufen und das Geld den Armen geben können.“

    Warum Öl im Wert des Jahresgehalts eines Arbeiters für eine scheinbar sinn- und folgenlose Geste? Warum erlesenste Körperpflege für einen, der Einfachheit gepredigt hat und sowieso bald sterben wird? Warum tut jemand so was?

    Nun, zunächst möglicherweise einfach so. Die Liebe braucht kein Wozu. Die Liebe bezweckt nichts. Es geht ihr nur um den Anderen – um seiner selbst willen. Sie sagt: Du bist es wert.

    Dann ist es aber auch ein Akt der Verehrung über alles menschlich zu Rechtfertigende hinaus. Der so Verehrte ist nicht einer unter vielen. Er ist unvergleichlich. Eine solche Ehre kommt nur Gott zu.

    Jesus selbst gibt einen weiteren Grund: „Sie hat im Voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt.“ Hingerichteten Verbrechern wurde die rituelle Salbung vor dem Begräbnis verwehrt. Vor seinem Sterben erlaubt Jesus Maria diesen letzten Liebesdienst.

    Und Maria erwidert damit die Liebe Jesu. Sie will verschwenderisch lieben wie er. Und sie will zeigen: Dein Leben und Sterben ist die maßlose Liebe Gottes zu uns, die nicht vergeblich ist und die uns sagt: Ihr seid es wert.

    Jesus ergänzt ein Wort, das bis heute eine Provokation darstellt: „Die Armen habt ihr immer bei euch […]; mich aber habt ihr nicht immer.“ Jesus spielt seine Gegenwart damit nicht gegen die der Armen aus. Aber er erinnert uns, über die Armen seine Gegenwart nicht zu vergessen. Denn sie ist die Gegenwart der Liebe Gottes zu den Armen. Ihm die Ehre geben, heißt dem die Ehre geben, dessen Liebe zu den Armen der unseren vorausgeht, sich in unserer offenbaren will und über unsere Liebe hinausgeht.

    Ich denke noch heute manchmal an den Scherz der beiden Mädchen. Sie erinnern mich daran, dass es im Leben der Christen darum geht: dass sie mit Christus als verschwenderisch Geliebte verschwenderisch lieben. Wenn ich das versuche, dann wird mein Leben hoffentlich eine Verschwendung, aber gewiss nicht

    • 4 min
    Don’t beam me up, Scotty – Beam mich hier nicht raus Joh 12,20-33

    Don’t beam me up, Scotty – Beam mich hier nicht raus Joh 12,20-33

    „Beam me up, Scotty!” Der Satz gilt als das berühmteste Zitat aus der Serie „Raumschiff Enterprise“. In der Science-Fiction-Serie befindet sich Captain Kirk auf einem Planeten und bittet seinen Chefingenieur Scott, ihn durch „Teleportation“ (also durch Zerlegung hier und Rekonstruktion dort in Sekundenschnelle vermittels Strahlen) wieder ins Raumschiff zurück zu „beamen“. Seither wird es scherzhaft als Wunsch verwendet, aus einer mühsamen oder aussichtslosen Situation augenblicklich herausgeholt und befreit zu werden.

    Im Science-Fiction ist das der Befehl an den Chefingenieur. In der irdischen Welt entspricht dem die flehentliche Bitte an Mensch und Gott: „Rette mich!“ und: „Reiß mich heraus!“ (Ps 71,2; 144,7)

    Im Johannesevangelium ist für Jesus nach dem Einzug in Jerusalem dieser Moment gekommen. Alle Entscheidungen um ihn herum sind gefallen. Jesus ist im Innersten erschüttert. Und er formuliert die letzte Entscheidung, die noch aussteht: „Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde?“

    Das ist ein wichtiger Moment: Bevor Jesus darum bittet, aus dieser Situation gerettet zu werden, fragt er: „Was soll ich sagen?“ Soll ich darum bitten, aus dieser Situation herausgenommen zu werden? Ist gerettet werden das, worum es jetzt geht? Ist es das, was der Vater von mir und für mich will?

    Im Gebet geht es vor der Bitte um Rettung darum, nach dem Willen Gottes – also nach dem Gerechten, Guten und der Liebe Gemäßen – zu fragen. Deshalb wird im Vaterunser zuerst um die Erfüllung des Willens Gottes und erst dann um das tägliche Brot gebetet.

    „Soll ich sagen: Vater rette mich aus dieser Stunde?“, fragt Jesus. Das ist eine echte Frage. Jesus hätte das nämlich tun können. Einem seiner kampfbereiten Jünger sagt er vor seiner Verhaftung: „Glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?“ (Mt 26,53) Aber er bittet nicht um zwölf Legionen Engel. Er bittet nicht um Rettung aus dieser Stunde. Warum nicht?

    „Deshalb bin ich in diese Stunde gekommen“, sagt er. Und bittet: „Vater, verherrliche deinen Namen.“ Das bedeutet: Ich bin in diese Stunde gekommen, damit der Vater da, wo ich bin, und indem ich da bin, wo ich bin, seinen Namen verherrlicht.

    Der unaussprechliche „Name“ Gottes steht für seine Anwesenheit, seine Ansprechbarkeit und sein Wirken dort, wo „sein Name wohnt“ (Jes 18,7). Vater, offenbare deine Ansprechbarkeit und dein Wirken!, bittet Jesus hier.

    Jesus entzieht sich nicht. Er bleibt. Er hat erkannt: Der Vater braucht ihn gerade hier und gerade jetzt. Er hat hier und jetzt einen Auftrag, den es zu erfüllen gilt und den keiner statt seiner erfüllen kann. Hier und jetzt ist er die Stelle, in der die Liebe Gottes sich als treu erweist. Auch in allem Hass, der ihn treffen wird. Auch im Sterben. Auch im Tod und durch den Tod hindurch.

    An diesem Wochenende bin in einem Seminar zum Thema Zeugnis. Kann das sein, dass mein Zeugnis ist, zu bleiben – und darauf zu verzichten aus dieser oder jener mühsamen oder gar gefährlichen Situation herausgenommen zu werden?

    Jesus ist die Stelle der Offenbarung Gottes. Und alle, die zu ihm gehören, sollen es mit ihm werden. Für sie geht es nicht mehr nur darum, dass Gott bei ihnen ist. Sondern darum, dass sie bei Gott sind. „Wo ich bin, dort wird auch mein Jünger sein“, sagt Jesus.

    „Beam me up, Scotty!” – Die Sache ist die, dass Captain Kirk diesen Satz in der Serie (1966-1969) so nie gesagt hat. Erst 1986, als es schon eine stehende Redewendung ist, greift Captain Kirk den Satz im Spielfilm Star Trek IV auf.

    Im Original sagt Captain Kirk: „Two to beam up, Scotty“. Das ähnelt schon eher dem Gebet, das Jesus mit uns einmal beten wird: „Hier sind zwei, die gerettet werden sollen.“ Der Vater holt uns raus aus dem Tod. Zusammen mit dem Sohn. Wenn die Aufgabe erfüllt, der Dienst getan, das Wort gesagt und die Liebe am Ziel

    • 5 min

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