Hoffnung habe in der Polykrise der Gegenwart Hochkonjunktur, schreibt Jonas Grethlein zu Beginn seiner „Kulturgeschichte eines Weltverhältnisses“ und stellt sich die Frage, woher dieses Gefühl eigentlich kommt. Oder ist es gar kein Gefühl, sondern eine Strategie, über welche die menschliche Ratio frei verfügen kann – zum Trost, zur Bestärkung oder gar zur Flucht vor und aus den Bedrängungen des Lebens?
Unterschied zwischen Hoffnung und Utopie
In acht Kapiteln spannt Jonas Grethlein einen Bogen von der homerischen Antike bis ins 21. Jahrhundert und zeigt dabei die Facetten eines Begriffs, der in die Zukunft weist: So wie die Erinnerung sich der Vergangenheit, so wendet sich die Hoffnung der Zukunft zu. Aber was unterscheidet die Hoffnung von der Utopie?
Utopie ist ganz wörtlich genommen der Nicht-Ort. Es handelt sich um Idealvorstellungen, die sich so nicht realisieren lassen. Hoffnungen haben dagegen immer etwas als Gegenstand, was einem als möglich und prinzipiell realisierbar erscheint.
Quelle: Jonas Grethlein – Hoffnung
Es geht offenbar um eine beidseitige Beeinflussung: „Hoffnung“ ist von der jeweiligen Kultur geprägt – Grethlein zitiert den römischen Historiker Sallust, der in der Hoffnung einen Ausdruck eines Sittenverfalls sieht, spiegele sie doch die Gier römischer Hegemonialpolitiker; aber umgekehrt prägt sie auch das Denken der Menschen und führt zu einem kulturellen Paradigmenwechsel: Nur drei Generationen nach Sallust steht der positiv konnotierte Hoffnungsbegriff im Zentrum der Lehre des Apostels Paulus und wird zur folgenreichen Begründung einer Religion, welche die Hoffnung zur Tugend erhebt. Ist es vermessen, von einem Anzeichen des Endes der Antike durch diese paulinische relecture des lateinischen Begriffs „spes“ bzw. des griechischen Begriffs „elpis“ zu sprechen, die beide mit Hoffnung übersetzt werden?
Paulus ist in der Geschichte der Hoffnungen eine wichtige Zäsur; war Hoffnung davor in der Antike etwas eher Ambivalentes, so wird Hoffnung jetzt als die Hoffnung auf das Ewige Leben ganz stark und positiv aufgeladen.
Quelle: Jonas Grethlein – Hoffnung
Hoffnungsbegriff als treibende Kraft in der Geschichte
Aber auch im Hochmittelalter erweist sich der Hoffnungsbegriff und seine Wandlungen als treibende Kraft: Inmitten einer durch ein nachgerade in Stein gemeißeltes ordo-Denken geprägten Epoche entfaltete sich durch die christliche Hoffnung eine eigene Dynamik: Es war die Geschichtstheologie des Joachim von Fiore, die laut Jonas Grethlein die diesseitige Zukunft als Raum für weitreichende Hoffnungen eröffnete – was aber eben auch zu utopischen Zukunftsentwürfen führte. Letztere haben ein Charakteristikum des Hoffnungsbegriffs geschwächt – nämlich die Unverfügbarkeit. Oder mit den Worten Jonas Grethleins: „Hoffen ist an Kontingenz gebunden, sie entfaltet sich im Raum des Anders-Sein-Könnens und zielt auf Unverfügbares.“ Somit ist Hoffnung inkompatibel mit den großen geschichtsdeterministischen Ideologien des 19. Jahrhunderts: Weder die Revolutionsvorhersagen des Marxismus noch die Idee, dass der Nationalstaat das Telos der Geschichte sei, können – so Grethlein – mit Hoffnung assoziiert werden, weil sie die Geschichtlichkeit des Menschen leugnen und Kontingenz durch die Notwendigkeit des Fortschritts ersetzen. Und was wird aus der Hoffnung im Schatten der Zivilisationsbrüche des 20. Jahrhunderts? Das vorletzte Kapitel öffnet ein Panorama, das von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ über Albert Camus‘ Skepsis gegenüber jeglicher Hoffnung bis hin zu Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung reicht. Wo aber bleibt – so fragt Grethlein – die Hoffnung im Konzentrationslager? Offenbar droht der Hoffnung angesichts von Auschwitz das gleiche Schicksal, das Adorno für die Poesie diagnostizierte, nämlich die Unmöglichkeit.
Hoffnung motiviert Hand
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- FrequencyUpdated Daily
- PublishedNovember 13, 2024 at 5:46 PM UTC
- Length4 min
- RatingClean