Folge 3 - Der Wert der Freiheit
Folge 03 – Freiheit – Dr. Philipp Schink Gesprächstranskript (editiert) (Marc von der Linde) Heute nehmen wir im Büro von Herrn Dr. Philipp Schink im Forschungszentrum Normative Ordnungen in Frankfurt am Main auf. Vielen Dank, Herr Dr. Schink, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. In der heutigen Folge werden wir uns fragen, was der Begriff der Freiheit bedeutet. Um diese Frage zu erforschen, wollen wir uns in dieser Folge etwas vorstellen. Ein Wesen aus dem All kommt auf die Erde. Es fällt in Europa auf diesen Planeten und fragt sich nach einigen Jahren, in denen es unentdeckt hier leben konnte, wieso sind die Menschen hier in der Lage, sich frei zu entwickeln? Welche Annahmen stecken hinter diesem politischen System? Das Alien kommt nach Europa und fragt sich, wie es möglich ist, dass so viele Menschen auf so engem Raum friedlich in Freiheit miteinander leben. Das Alien kann sich Sprachen erschließen und sich so an bestehende Gesellschaften anpassen. Allerdings weiß es nichts von den Bedeutungsinhalten der Worthülsen, die hier wie selbstverständlich gebraucht werden. Um einzusteigen, wie würden Sie dem Alien, also ganz allgemein, Freiheit und die Bedeutung der Freiheit für Frieden erklären? (Dr. Philipp Schink) Das ist eine spannende Frage. Vielen Dank. Also ich denke, das Alien hat zumindest in der Beschreibung schon mal einen richtigen Einstieg genommen oder einen Einstieg. Man kann viele Einstiege in das Thema nehmen. Und zwar ist es diese Verbindung aus der Beobachtung, dass Menschen friedlich miteinander leben können und dass das in irgendeiner Weise mit Freiheit zu tun hat. Und ich glaube, wenn man ein bisschen zurückgeht, zumindest zu dem neuzeitlichen Begriff oder dem modernen Begriff von Freiheit und dem Verständnis, was hier für unsere Gesellschaften eigentlich dann doch prägend ist, dann hat das tatsächlich was damit zu tun, dass Gesellschaften mit Konflikten massiv beschäftigt waren und dass Freiheit eine Möglichkeit, einen Horizont geboten hat, wie man aus diesen Konflikten in der Gesellschaft rausgekommen ist. Und das kann man ungefähr verorten: Das hat stark mit Religionskonflikten zu tun im 16. Jahrhundert, und da gab es die Idee, dass man gesagt hat, naja, wenn wir diese Konflikte, um was die richtige Religion oder die richtige Überzeugung ist, nicht entscheiden können, dann müssen wir eine Art Modus Vivendi miteinander finden. Und da hat man die Idee gehabt, das schaffen wir dadurch am besten, dass wir Lebensbereiche schaffen, die vor den Eingriffen anderer in irgendeiner Weise geschützt sind. Und das erschließen wir uns mit Freiheit. Diese Bereiche erschließen wir uns mit Freiheit. Und diese Tradition findet man tatsächlich heute immer noch ganz stark.Die findet man in der Idee, dass Freiheit etwas damit zu tun hat, dass ich in einem Verhältnis zu anderen Personen stehe. Und ich sage gleich was dazu, warum diese Bezogenheit auf andere da eine Rolle spielt. Warum ich in einem Verhältnis zu anderen stehe, in dem diese anderen nicht in einen Bereich, Handlungsbereich von mir hineingreifen, eingreifen dürfen oder es faktisch auch nicht tun. Und dass wir das als eine Freiheit bezeichnen. Das ist sozusagen der Freiheitsraum. Und wer diese anderen sind, ist dann sozusagen beliebig auffüllbar. Klassisch ist es oft der Staat gewesen. Man sagt, es gibt gegenüber dem Staat, gegenüber einer politischen Entität, einen bestimmten Bereich, der sagt: Hier sind die Grenzen staatlichen Handelns in Bezug auf die ihm unterworfenen Individuen, was wir dann als Bürgerinnen heute kennzeichnen. Von daher denke ich, hat das Alien schon eine sehr gute Beobachtung gemacht, dass es nämlich gesehen hat, also hier auf der Welt leben Menschen miteinander zusammen, ohne permanent in einen Konflikt zu geraten.Und das scheint etwas damit zu tun zu haben, dass bestimmte Dinge, die normalerweise zum Konflikt ständig führen würden, bestimmte Verhaltensweisen reguliert werden. Und das scheint man darüber zu machen, indem man so eine Art Handlungsbereiche verteilt und zuordnet. (Marc von der Linde) Also in gewisser Weise machen Sie damit ja schon die Interpretation des Begriffs als dieses zweischneidige Schwert nach Berlin auf. Das Alien versteht also, dass eine Interpretation des Freiheitsbegriffs den Begriff von zwei Perspektiven her füllt und daher die Konzepte der negativen und positiven Freiheit entspringen. Das Individuum soll sich frei entfalten können und benötigt daher eine Freiheit von äußeren Zwängen. Bedeutet negative Freiheit dann nur, frei von etwas zu sein? (Dr. Philipp Schink) Es gibt große Brüche in dieser Erzählung von Freiheit. Das 19. Jahrhundert ist ein riesengroßer Bruch mit der Industrialisierung und dem aufkommenden Kapitalismus. Da werden dann auf einmal ganz andere Freiheitsprobleme virulent. Aber das, was jetzt hier angesprochen ist, mit negativer Freiheit und positiver Freiheit, geht erstmal auf eine Vorlesung zurück, die ein Ideengeschichtler, der in Oxford gelehrt hat, vorgeschlagen hat. Das ist Isaiah Berlin gewesen. Berlin hat 1958, meine ich, in einer Antrittsvorlesung eine Unterscheidung vorgenommen, dass er gesagt hat, wir können eigentlich die gesamte Ideengeschichte der Freiheit in einer klugen Weise unter zwei Begriffe ordnen. Es gibt wesentlich mehr Begriffe, aber diese beiden bieten so einen ganz guten Sortierungsvorschlag. Und das eine ist unter dem Begriff der negativen Freiheit und das andere unter dem Begriff der positiven Freiheit. Negative Freiheit, und das ist ganz wichtig, ist tatsächlich etwas, was wir heute als den Kern liberalen Freiheitsverständnisses verstehen würden. Und es geht nicht darum, dass wir uns selbst verwirklichen.Es bezeichnet tatsächlich etwas, dass wir von anderen in bestimmten Handlungsbereichen nicht eingeschränkt werden. Und es geht nur darum, quasi die Kernfrage, wie das dann entwickelt ist.Was ist eigentlich der Bereich, in dem andere, andere Individuen, der Staat, politische Parteien, Gruppen, was auch immer man da einsetzen will - nicht eingreifen? Und dann ist die zentrale Frage: Wie groß ist dieser Bereich, wie klein ist dieser Bereich, in welcher Art und Weise wird er verteilt, wird er gleich verteilt, wird er ungleich verteilt und so. Das sind dann die klassischen Fragen, die mit negativer Freiheit einhergehen. Und das ist eine relativ, im Einzelnen immer kompliziert zu verstehendes Konzept.Aber es ist verglichen mit dem, was sich in unterschiedlichen Varianten mit dem Begriff positiver Freiheit erschließen lässt, doch ein relativ schmales Konzept. (Marc von der Linde) Eine Auffassung des demokratischen Staates ist, dass der Staat die gesammelten Werte und Interessen der Bevölkerung vertritt. Im besten Falle ist der Staat also der Volkssouverän und doch wird mit der Idee der negativen Freiheit klargestellt, dass das Individuum geschützt werden muss vor der Willkür des Staates. Der Schutz vor Willkür ist also ein relevanter Teilaspekt negativer Freiheit. Negative Freiheit bezeichnet dann ja in gewisser Weise auch immer diese Räume der Freiheit die geschaffen werden. Dadurch wird das Individuum unabdingbar in Relation zu dem Rest der Gesellschaft gesetzt. Und aufgrund dieser Gegebenheiten muss Freiheit dann ja auch immer im Spannungsverhältnis zu den anderen Individuen gedacht werden – wieso ist die Komponente der Anderen für die eigene Freiheit essentiell? (Dr. Philipp Schink) Naja, es ist für den Freiheitsbegriff, würde ich sagen, gerade in der liberalen Tradition essenziell. Weil so, wie wir das quasi schon anhand dieses Alien-Beispiels angefangen haben zu entwickeln, wird in dieser Tradition mit dem Begriff der Freiheit versucht, das Verhältnis zwischen Menschen zu erschließen. Und es wird dann gesagt, es ist ein Verhältnis, Menschen handeln einander gegenüber und ich bin frei im Verhältnis zu einer anderen Person, wenn die nicht in einen Handlungsbereich von mir eingreift. Also wenn die nicht in einer spezifischen Art und Weise mir gegenüber handelt. Das ist so diese Kernkonzeption davon. Und davon ausgehend wird dann quasi gesagt, dass die zentrale politische Frage, erstmal weil nach der Demokratie ja gefragt wurde, dass die zentrale politische Frage eine ist, immer wie groß ist dieser Bereich. Die zentrale politische Frage ist nicht, Welche Regierungsform haben wir? Demokratie oder irgendwas anderes? Und hängt die intrinsisch mit Freiheit zusammen? Da wurde immer gesagt, nein, da gibt es einen ganz klaren Bruch zwischen. Es gibt zwischen der Regierungsform und der Art und Weise, wie Freiheit gewährleistet, allenfalls einen empirischen Zusammenhang. Die meisten Liberalen würden natürlich sagen, empirisch gesehen sind Demokratien eher freiheitsverbürgend als Autokratien oder sowas. Aber auf der begrifflichen Ebene gibt es da nicht unbedingt einen Zusammenhang. Und das versteht sich auch dadurch, weil in dieser Tradition wird Freiheit als eine Art Abwehr gegenüber dem Staat verstanden. Es ist gerade eine Abwehr gegenüber einem politischen Übergriff. Und das findet man dann sozusagen im 19. Jahrhundert ergänzt auch als Freiheitsvorstellung, als eine Abwehr gegenüber gesellschaftlichen Übergriffen. Klassisch ist das bei John Stuart Mill oder sowas, wo das primäre Problem vielleicht gar nicht mehr so sehr ist, inwieweit der Staat eigentlich in irgendwelche Handlungsbereiche eingreift, sondern inwieweit Gesellschaften normierend wirken. Und über Druck und Zwänge selber das Individuum zu einer bestimmten erwünschten Verhaltensweise bringen. Und dagegen wird dann Freiheit als ein ganz wichtiges Prinzip angeführt. So ungefähr. Aber jetzt habe ich nicht alle Punkte Ihrer Frage erschöpft vielleicht. (Marc von der Linde) Mit dem ersten Verständnis hat das Alien eine sehr idealistische Idee von Freiheit bekommen, dass Freiheit etwas ist, was besteht und das auch gewährt werden muss in Staaten.Nun konnte das Alien in seiner kurzen Z