Was ist der Krieg? Und wieso tendiert er in der Moderne oft zur äußersten Gewalt? Antworten darauf gibt es bei einem Klassiker der Militärtheorie: Carl von Clausewitz. Ein Denker, der das Verhältnis von Krieg und Politik auslotet und dessen Theorie heute wieder erschreckend aktuell geworden ist. Von Jerzy Sobotta
Credits
Autor dieser Folge: Jerzy Sobota
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Thomas Loibl, Hemma Michel, Florian Schwarz
Technik: Lorenz Kersten
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Prof. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler, Berlin;
Prof. Gunnar Hindrichs, Philosoph, Basel
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ZUM PODCAST
Literaturtipps:
Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“: Das Hauptwerk des Kriegstheoretikers, erstmals 1832 posthum veröffentlicht. Auch als günstige und gekürzte Reclam-Ausgabe erhältlich.
Dietmar Schlösser, „Carl von Clausewitz“: Eine kurze Einführung in sein Denken und Leben. Gibt einen guten Überblick zur Erstbeschäftigung.
Gunnar Hindrichs, „Abseits des Krieges“: Ein nachdenklicher philosophischer Essay, der die aktuelle Rückkehr des Krieges aus dem Blick bedeutender Philosophen – u.a. Clausewitz – verstehen und historisch fassen will.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN:
Es gibt Stunden, in denen die Geschichte plötzlich über das Leben der Menschen hereinbricht und alles verändert. Einer dieser Momente war die Nacht zum 24. Februar 2022.
ATMO: Luftalarm-Kiew
01 OT: ARD-Nachrichtensprecher: Der russische Präsident Putin hat eine Militäroperation auf ukrainischem Gebiet angekündigt. Er habe die Entscheidung getroffen, sagte er in der Nacht in einer Fernseheransprache.
02 OT: Putin: … (russisch, 6 Sek. – Ohne OV)
Overvoice männlich:
Wir haben eine militärische Spezialoperation eingeleitet
03 OT: Wolodimir Selenskyj: Russland hat unser Land am frühen morgen brutal angegriffen, so wie es Nazi-Deutschland während des zweiten Weltkriegs tat. (OT ist overvoiced)
SPRECHERIN
Für die Ukraine hat Russlands militärischer Großangriff unermessliches menschliches Leid gebracht. Für Europa hat er eine Idee zerstört: Die Idee einer Europäischen Friedensordnung. Der Krieg ist zurück und er scheint die Welt in sich hineinzuziehen …
Musik 2: The war rooms - 29 Sek
SPRECHER
Doch was ist Krieg? Wie bricht er aus? Und wieso führt er immer wieder in die äußerste Gewalt? Das sind Fragen, die sich auch Carl von Clausewitz gestellt hat: Der wohl wichtigste moderne Theoretiker des Krieges. Ein preußischer Offizier, der viele Kriege gesehen und sein ganzes Leben über sie nachgedacht hat.
04 OT Münkler: Intellektueller der das Wesen…
„Also im Prinzip würde ich sagen: Clausewitz ist ein verkleideter Intellektueller, der versucht, ja im buchstäblichen Sinne das Wesen des Krieges – nicht seine Erscheinungen – sondern das Wesen des Krieges gedanklich zu erfassen.“
SPRECHER
Das sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Clausewitz. „Vom Kriege“ heißt das dicke Buch, in dem der Preuße posthum seine Gedanken über den Ursprung und die Natur des Krieges hinterlassen hat. Ein fast 200 Jahre alter Wälzer, den man heute wieder lesen muss, sagt Herfried Münkler.
05 OT Münkler: Clausewitz als politische Erkundungsfahrt
„Ein intellektuelles Abenteuer ist er in Zeiten, in denen allgemein Frieden herrscht. Eine politische Erkundungsfahrt ist es hingegen in Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, der Krieg drängt von vielen Seiten auf uns herein. Und wir kommen nicht weiter, wenn wir sagen: Und du bleibst draußen.“
Musik 3: The war rooms – siehe oben – 58 Sek
06 OT Münkler: Gefährliche Welt mit Gedanken durchdringen
„Also Clausewitz gibt uns Kategorien in die Hand, mit denen wir auch in eine bedrohliche und gefährliche Welt hineinschauen können. Und sie überwältigt uns nicht, sondern wir durchdringen sie mit der Kraft des Gedankens.“
ATMO: Luftalarm: Ukraine
07 OT Von der Leyen: It is president Putin who is bringing war back to Europe.
08 OT Baerbock: Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht.
09 OT Steinmeier: Ja dies ist eine Zäsur, eine tiefe Zäsur und wir spüren das bis ins Mark. Sie, Ihre Familien und auch ich selbst.
SPRECHERIN
Der Krieg als Zäsur. Er hat in ganz Europa den Glauben erschüttert, dass mit dem Fortschritt der Frieden kommt. Plötzlich ist sie zurück, die Angst vor einem Zustand der nackten Gewalt. Wie umgehen mit ihr? Was offenbart der Krieg über unsere Gesellschaft?
(Musik aus) Um einige Antworten zu bekommen, können wir zurückgehen, zum Ursprung des modernen Krieges: Zurück in die Zeit von Carl von Clausewitz.
MUSIK 4 – Old and new – 59 Sek
SPRECHER
Auch er erlebt eine Welt im Aufruhr: Geboren 1780, zu Beginn der Französischen Revolution ist er 9 Jahre alt. Mit zwölf tritt Clausewitz in die preußische Armee ein, um Offizier zu werden. In diesem Jahr beginnt der Revolutionskrieg Frankreichs gegen die europäischen Königtümer – und mit ihm ein über zwei Jahrzehnte andauernder Europäischer Großkrieg um die Zukunft des Kontinents.
SPRECHERIN
Clausewitz sieht diesen Krieg schon mit Dreizehn in den Schützengräben von Mainz. Er sieht ihn als junger Offizier in der großen Schlacht vor Jena und Auerstedt, als Preußen verheerend geschlagen wird. Und er sieht ihn 1812, als er im Dienste Russlands gegen Napoleon kämpft. Er sieht, wie dessen 600.000 Mann starke Armee im russischen Winter von Hunger, Frost und Kanonen aufgerieben wird.
SPRECHER
Über zwanzig Jahre Krieg und die Umwälzung der politischen Ordnung in ganz Europa. Etwas an diesem Krieg hat sich fundamental verändert: Was genau es ist, darauf sucht Clausewitz sein Leben lang nach einer Antwort. Es hat etwas mit der Natur des Krieges in der Moderne zu tun.
SPRECHERIN
Auf dem Schlachtfeld beobachtet er bei den französischen Soldaten eine noch nie dagewesene Energie und Kampfbereitschaft. Es ist die Hingabe für die Sache der Revolution, die sie von einem Sieg zum nächsten eilen lässt.
Musik 5: Lashed tot he Mast – 13 Sek
ZITATOR CLAUSEWITZ
Der Krieg war urplötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen, die sich alle als Staatsbürger betrachteten.
SPRECHERIN
Im Kampf ums Überleben erlässt die junge Republik 1793 eine Wehrpflicht – die Levée en masse. Es ist die erste Wehrpflicht in Europa, die hunderttausende begeisterte junge Männer zu Soldaten macht. Statt Diplomatie und den Kabinettstischen der Monarchen, ist es nun Propaganda für Millionen, die über Sieg und Niederlage entscheidet: Im entfesselten Krieg der politischen Ideologien kämpfen ganze politische Systeme ums Überleben, um Sein oder Nichtsein.
SPRECHER
Diese Erfahrungen lassen Clausewitz völlig neu über den Krieg nac
Moderation und Gäste
Informationen
- Sendung
- Kanal
- HäufigkeitTäglich
- Veröffentlicht24. Juni 2024 um 00:30 UTC
- Länge24 Min.
- BewertungUnbedenklich