gfs.echo

mit Lukas Golder und Jenny Roberts

gfs.echo ist der Politik-Podcast von gfs.bern. In 25–35 Minuten sprechen Lukas Golder und Jenny Roberts aus seinem Team mit Gästen aus Verwaltung, Verbänden, Parteien und NGOs. Locker im Ton, präzise in der Sache: Fakten einordnen, Annahmen testen, Konsequenzen für die Praxis benennen. Jede Folge liefert Zahlen aus aktuellen Studien, eine klare Einordnung und einen Blick nach vorn. Wöchentlich – als Video und Audio.

Season 1

  1. Katrin Crameri, BAG: "Wir wollen weg von digitalen Silolösungen"

    EPISODE 1 · VIDEO

    Katrin Crameri, BAG: "Wir wollen weg von digitalen Silolösungen"

    Digitalisierung im Gesundheitswesen – mit Katrin Crameri (Fachleiterin DigiSanté, Co-Abteilungsleiterin Digitale Transformation beim BAG) EPD, E-Rezept, Praxisinformationssysteme: Wo es heute hakt – und wie es besser wird. Lukas Golder und Jenny Roberts sprechen mit Katrin Crameri über den Gesundheitsdatenraum: welche Basisdienste der Bund aufbaut, welche Standard- und Interoperabilitätsvorgaben kommen und warum mittelfristig auch gesetzliche Verbindlichkeit nötig ist – sie schafft Investitionssicherheit für Softwareanbieter und entlastet Fachpersonen. Konkrete Anwendungsfälle (E-Rezept, Medikationsplan, Spitalaustrittsbericht) zeigen, wie weniger Doppelerfassung und weniger Medienbrüche zu mehr Patientensicherheit führen. Im Podcast erwähnte Studien: Swiss eHealth Barometer 2025   Transkript zur Episode 00:00:12 Lukas Ja Jenny, heute haben wir ein Thema, bei dem ich, eigentlich seitdem ich mich darum kümmere, auch bei gfs.bern, viel Hoffnung drin habe. Aber manchmal ist es fast ein bisschen hoffnungslos. Das Thema ist Digitalisierung im Gesundheitswesen. Meine Hoffnung zum Beispiel ins EPD hat sich ein bisschen zerschlagen. Ich bin schon beim Onboarding-Prozess irgendwie nicht mehr weitergekommen. Da hat's mich immer rausgeschmissen in diesem Prozess. Ich habe nicht einmal ein EPD. Ich habe das Gefühl, die Schweiz ist hinten drin, wir kommen nicht vorwärts. 00:00:37 Jenny Also ich würde fast erwarten heutzutage, dass das meiste digital läuft im Gesundheitswesen. Vielleicht liegt das auch an meiner Generation. Aber ich kriege tatsächlich nicht so wahnsinnig viel davon mit. Also ich habe das Gefühl, es gibt schon noch viele Bereiche, wo man da Luft nach oben hat. Und ich kenne jetzt eher wenig Beispiele von Sachen im Gesundheitswesen, die schon rein digital ablaufen. 00:01:00 Lukas Ich glaube, dieser Eindruck von dir täuscht nicht. Wir haben aber jetzt eine Person, die geeignet ist, um das Thema nochmal ganz neu aufzurollen, um das Thema nochmal neu anzupacken und zu diskutieren. Das ist Kathrin Crameri. Sie ist die Fachleiterin von DigiSanté und Co-Abteilungsleiterin digitale Transformation beim Bundesamt für Gesundheit. Herzlich willkommen. Und wieso ausgerechnet die Digitalisierung in diesem Schweizer Gesundheitswesen, das so kompliziert funktioniert? 00:01:27 Katrin Also der digitale Wandel, der vollzieht sich heute ja schon in allen unseren Lebensbereichen. Und die Frage ist doch eigentlich nur, inwiefern wollen wir ihn aktiv mitgestalten und ausrichten? Also ausrichten so, dass er einerseits mit den Werten und Prinzipien unserer Gesellschaft vereinbar ist und andererseits aber auch so, dass die entstehenden digitalen Lösungen unseren Bedürfnissen, unseren Erwartungen auch tatsächlich entsprechen und für uns als hilfreich wahrgenommen werden. Im Gesundheitswesen ist das so, dass ja hauptsächlich die Patientinnen und Patienten oder Bürgerinnen und Bürger von diesem digitalen Wandel profitieren sollen. Vor allem mit Blick auf eine noch bessere Gesundheitsversorgung oder noch bessere Prävention. Aber auch zum Beispiel mit Blick auf eine höhere Patientensicherheit. Gleichzeitig sollen ja aber auch unsere Gesundheitsfachpersonen und andere Akteure, die im Feld aktiv sind, durch die Effizienzsteigerung, die wir durch Digitalisierung ins System bringen, profitieren. Ihre Arbeit soll erleichtert werden. Wir wollen, dass sie wieder Zeit haben, sich um die Patientinnen und Patienten zu kümmern und nicht so viel Computerarbeit leisten müssen, nicht so viel administrativen Overhead haben, weil die Computer ihnen die Arbeit abnehmen, wenn wir das sauber digitalisiert haben. 00:02:43 Lukas Jetzt ist die Schweiz ein bisschen im Hintertreff, oder? 00:02:44 Jenny Ja, also eben, du sprichst es ja schon an, aber Digitalisierung, das passiert sowieso in den Schweizern. Wir wissen, wie du auch sagst, Lukas, aus den Daten vom eHealth-Barometer, die Bevölkerung ist sehr offen für Digitalisierung, auch im Gesundheitswesen, aber aktuell hat nur so ein Viertel das Gefühl, dass wir da schon weit vorgeschritten sind. Hast du auch den Eindruck? 00:03:03 Katrin Ja, ich habe leider auch den Eindruck, das ist sicher so, dass die Schweiz in vielen Bereichen schon sehr gut digitalisiert ist. Also wir haben etliche wirklich gute, wirksame digitale Lösungen am Start. Man denkt natürlich auch an die heutigen Technologien im Spital oder wie wir behandelt werden. Das ist ja alles digital, diese Roboter, die es dort gibt und die Medizinsysteme. Aber es ist tatsächlich so, dass diese digitalen Lösungen, die bestehen, ganz schlecht miteinander vernetzt sind. Und deswegen figurieren wir auch auf den untersten Ranglisten dieser E-Health oder Readiness-Indizes, weil eben diese fehlende Vernetzung wirklich das Problem ist, dass der Mehrwert der Digitalisierung auch bei den Leuten ankommt. Bei den Patienten natürlich auch am Ende der Kette, aber vor allem auch bei den Gesundheitsfachpersonen, die das eher als mühsam und aufwendig empfinden. Wir sprechen da von Silo-Lösungen. Also Silo-Lösungen sind Lösungen, die in einem bestimmten Setting sehr gut funktionieren, aber sobald man über das Setting rausgeht, funktionieren sie schon wieder nicht mehr. Ein Beispiel wäre, ich kriege ein elektronisches Rezept auf mein Smartphone geschickt und es gibt aber jetzt nur ganz spezielle, ganz spezifische Apotheken, wo ich das einlösen kann. Wenn ich nicht neben so einer Apotheke wohne, ist der Mehrwert von so einem elektronischen Rezept für mich nicht vorhanden. Anderes Beispiel ist, dass diese Praxisinformationssysteme, also die IT-Systeme, die die Patientendaten managen in den Praxen oder auch in den Kliniken, dass diese Informationssysteme nicht fähig sind, Informationen untereinander auszutauschen. Das heisst, die passen nicht zusammen. Das heisst, es ist immer bei zum Beispiel einer Überweisung von meiner Hausärztin, die mich ins Spital überweist, muss immer händisch dazu getan werden, eine E-Mail zu öffnen, dort Dokumente anzuhängen, PDFs anzuhängen, das dann zu schicken. Und die andere Person, die es empfängt, die macht diese PDFs auf und tippt daraus die Informationen in ihr Informationssystem ab. Redundant, ineffizient und wir sind im 2025 und eigentlich könnten wir das viel besser. Also diese Vernetzung dieser Systeme hinzukriegen, dass sie miteinander kommunizieren und das automatisiert werden kann. Das ist das Stichwort, oder? Dass Computer die Arbeit abnehmen, die die Menschen im Moment noch machen. 00:05:19 Lukas Von Software zu Software interagieren und jetzt kommt der grosse Hammer, jetzt haben wir 390 Millionen Franken für DigiSanté. Ein Programm, das sehr viel vereinen will und genau in diesem Kern bei diesem Problem anpacken will. Was passiert jetzt mit diesem Programm? 00:05:37 Katrin Also, die DigiSanté hat diesen Verpflichtungskredit bekommen, oder? 390 Millionen Franken. Das ist wie zusätzliches Geld, was der Bund jetzt investiert in ein Programm, was die Schaffung eines digitalen, effizienten, patientenorientierten, vernetzten Gesundheitswesens nach vorne bringen soll oder. Da Schwung reinbringen soll. Einerseits haben wir die Aufgabe jetzt dort auch Dinge zu entwickeln, neu zu entwickeln, wie zum Beispiel... digitale Lösungen, die wir in der Bundesverwaltung im Einsatz haben oder wo die Leute draussen Daten reinliefern müssen, die bei uns ankommen müssen. Dort muss harmonisiert werden. Wir wollen das Leben auch für die Personen, die beim BAG Daten eingeben müssen, aufgrund von irgendeiner gesetzlichen Grundlage erleichtern. Und diese Harmonisierung, also diese Anforderungen an, wie können wir in irgendeiner Form so normieren, dass wir zu einem effizienteren Arbeiten kommen. Genau diese Anforderungen wollen wir natürlich auch für das gesamte Gesundheitswesen formulieren. Und das machen wir nicht alleine. Wir haben dazu einerseits andere Vertreter der Bundesverwaltung mit an Bord bei DigiSanté. DigiSanté steht in der Verantwortung des Eidgenössischen Departments des Inneren. Aber wir haben in Ausführung, macht das nicht nur das BRG, sondern auch das BFS, das Bundesamt für Statistik. Wir haben das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation, BIT an Bord. Wir haben die Eidgenössische Finanzverwaltung an Bord, die Bundeskanzlei. Also wir sitzen da alle zusammen, inklusive der Kantone. Und wichtigerweise haben wir entschieden, dass wir die Branche, also die Branchenvertreter der Gesundheitsorganisationen da draussen, ganz eng in dieses Programm mit einbinden. Wir haben 45 Vertreter in diesem Gremium jetzt vertreten und wir arbeiten gemeinsam mit denen. Wir können das als Bundesverwaltung natürlich nicht alleine stemmen. Wir gehen jetzt in Vorleistung. Die Grundinvestition ist jetzt mal gegeben mit diesen 390 Millionen. Aber wir sind natürlich darauf angewiesen, dass das, was wir jetzt da bauen mit DigiSanté, dass das skaliert, dass das in der Branche tatsächlich aufgenommen wird, dass wir alle zusammen in die gleiche Richtung gehen. Dass die Jenny natürlich nachher nicht mehr das Gefühl hat, dass da einzelne Lösungen sind, aber irgendwie geht sich das nicht aus. Da ist keine Vernetzung da, sondern ich muss hier das machen und dort was anderes machen. Und ich frage mich, warum können die Systeme nicht untereinander kommunizieren, dass ich das nicht zweimal machen muss. 00:07:59 Lukas Jetzt haben wir oft den Eindruck gehabt, wenn man so über DigiSanté diskutiert hat, wo es halt recht auch um abstrakte Sachen geht. Ja, jetzt haben wir eHealth, jetzt haben wir die Diskussion um das EPD, das Patientendossier, das irgendwo im Moment im Parlament steckt. Wir hatten eine Diskussion über Fax, wo man irgendwie Grippenmeldungen plötzlich auch Covid müssen wir... Es hat sehr viele Diskussionen gegeben. Wo gliedert sich das an? Manchmal hatte ich das Gefühl, das ist wie eine Architektur, die man jetzt noch drüber legt und darunter ist die Disku

    26 min
  2. Sarah Wyss, Nationalrätin: "Präventionspolitik lohnt sich für PolitikerInnen nicht"

    EPISODE 2 · VIDEO

    Sarah Wyss, Nationalrätin: "Präventionspolitik lohnt sich für PolitikerInnen nicht"

    Prävention, Psychiatrie, Krankenkassen: Realitätscheck im Schweizer Gesundheitswesen Diese Woche haben Lukas Golder und Jenny Roberts Nationalrätin Sarah Wyss zu Gast. Sie reden über: Warum Prävention chronisch unterfinanziert bleibt und welche Anreize tatsächlich wirken. Wie die Kinder- und Jugendpsychiatrie entlastet werden kann – inklusive einer nüchternen Zwischenbilanz zum Anordnungsmodell. Und ob über 40 Krankenkassen Effizienz schaffen oder vor allem Verwaltung produzieren. Im Podcast zitierte Studien: Sorgenbarometer Krebsversorgungsmonitor Präventionsmonitor Transkript zur Episode 00:00:02 Sprecher GFS Echo, der Podcast von GFS Bern. Mit Lukas Golder und Jenny Roberts. 00:00:12 Lukas Herzlich willkommen zu GFS Echo, dem Podcast von GFS Bern zu den wichtigsten und brennendsten Themen in der Schweizer Politik. In dieser Staffel geht es um das Gesundheitswesen insgesamt. Bei der Bevölkerung stehen häufig die Kosten im Vordergrund. Heute reden wir aber mehr über die Gesundheitsversorgung – vor allem die psychiatrische – und auf der anderen Seite über Prävention. Ein Thema, das im politischen System nicht so oft diskutiert wird. 00:00:41 Jenny Ja, da täuscht der Eindruck in Bezug auf die Bevölkerung nicht. Wir wissen aus dem Präventionsmonitor, dass die Leute in der Schweiz am ehesten auf der individuellen Ebene denken, wenn es um Prävention geht: Ich ernähre mich etwas gesünder, mache etwas Sport – solche Sachen. Und erst in zweiter Linie denken wir an strukturelle, politische Massnahmen, wobei die genauso wichtig wären. 00:01:04 Lukas Heute wird es politisch. Wir haben eine Nationalrätin hier, die sowohl im Bereich Kosten – nämlich als Präsidentin der finanzpolitischen Kommission – aber eben auch im Bereich Gesundheitsversorgung tätig war, selber im Management in der Psychiatrie, und in der Kommission, die sich um Gesundheitsfragen kümmert. Nationalrätin Sarah Wyss von der SP, herzlich willkommen. 00:01:25 Sarah Danke für die Einladung, ich freue mich darauf. 00:01:27 Lukas Bei der Prävention kann man fast sagen, es steht ein Wunschtraum im Raum: dass man gleichzeitig die Kosten senken und die Versorgung, die Gesundheit der Bevölkerung, verbessern kann. Ist es ein Wunschtraum? 00:01:39 Sarah Ich glaube, die Prävention ist wirklich für die Menschen da. Am Schluss wollen wir doch alle, dass die Menschen nicht krank werden. Und was du, Jenny, gesagt hast, ist richtig: Einerseits beginnt die Prävention im Alltag bei jedem. Aber man muss den Menschen ein Rucksäckchen mitgeben, damit sie sich auch so verhalten können. Dieses Rucksäckchen ist die institutionelle – oder ein Teil der institutionellen – Prävention. Da fällt mir auf: Beim Gesamtvolumen des Gesundheitswesens, also rund 90 Milliarden, geben wir gerade einmal 1,4% für Prävention aus. Für die Verwaltung geben wir 4,4% aus. Für Prävention, die all diese Kosten eigentlich reduzieren könnte, geben wir so wenig Geld aus. Da sieht man, dass das Interesse an Prävention leider nicht so gross ist. Vielleicht kann ich ausführen, warum. Alle sagen, die Menschen sollen gesund bleiben, sollen gesund werden. Für jeden einzelnen Leistungserbringer wäre das das Ziel. Aber das Gesamtsystem lebt von Krankheit. Wenn Menschen nicht krank sind, verdient fast niemand im Gesundheitswesen etwas. Das ist ein Grundproblem unseres Finanzierungsmodells. 00:02:50 Lukas Aber da kommen die Kosten sehr schnell ins Spiel, weil Prävention, so wie du es beschreibst, kostet natürlich. Wir haben Screening-Programme, die zum Teil hinterfragt werden, und man weiss nicht mehr, wer warum zahlen soll. Man weiss: Im Prinzip muss man investieren, man soll mehr investieren. Wieso sollten die Kosten runtergehen? 00:03:12 Sarah Die Kosten gehen nicht heute runter – das ist vielleicht das Problem der Politik. Wenn wir heute Vorsorgeuntersuchungen machen oder klassische Primärprävention, etwa Plakatkampagnen, ist es nicht so, dass ich sofort gesund werde oder heute nicht erkranke. Über eine längere Frist stärkt das die psychische Gesundheit und beugt z. B. Herz-Kreislauferkrankungen vor. Die Kosten werden viel später eingespart. In der Politik ist man darauf gedrillt, möglichst schnell einen Effekt zu sehen. Den sehen wir erst in 10, 20 Jahren. Die, die heute Politik machen, profitieren davon dann nicht mehr. Darum ist es wichtig, mit Studien zu zeigen, wie wirksam Prävention ist, damit man zumindest vom Kopf her sagt: Dort müssen wir investieren, damit Menschen gesund bleiben. 00:04:08 Jenny Um die Sicht der Bevölkerung reinzubringen: Wir wissen, dass drei Viertel der Schweizer Bevölkerung das Gefühl haben, wenn wir mehr in Prävention investieren, könnten wir Milliarden einsparen im Gesundheitswesen. Würdest du das unterschreiben? 00:04:24 Sarah Ja, absolut. Es ist einfach nicht unmittelbar. Es ist nicht so, dass wir heute investieren und das Geld heute gleich wieder zurückkommt. Es geht über eine längere Zeit. Ein anderer präventiver Ansatz ist etwa die Zuckerreduktion – freiwillig oder nicht. Da weiss man, es hat einen Effekt auf die Gesundheit. Das sind Massnahmen, die teilweise etwas kosten, teilweise Vorgaben an die Industrie oder Anreize für die Industrie sind. Das alles wird oft hinterfragt: Bei Industrievorgaben heisst es, man solle nicht reinreden; gibt man zusätzlich Geld aus für klassische Präventionsarbeit, fragt man: Bringt das etwas? Ich sehe ja morgen nichts. Und schlussendlich haben die Akteure – so toll sie sind – nicht unbedingt ein Interesse daran, dass Prävention wirkt. Das macht mich im Gesundheitswesen wirklich fertig. Alle, die einen Gesundheitsberuf gelernt haben, wollen, dass es den Menschen besser geht. Trotzdem ist unser Finanzierungssystem so, dass niemand ein finanzielles Interesse daran hat. Das ist absurd. 00:05:44 Lukas Wenn man diesen Zustand – unter dem du offenbar selber leidest – in Kontrast setzt zu einem System, das vernetzt funktionieren soll, mit Akteuren, Kantonen, Bund: Nun reagiert der Bund mit Strategien, mit Vorstössen. Was wünschst du dir in diesem Bereich? 00:06:07 Sarah Wichtig ist, dass Kantone, Gemeinden, Bund und alle Akteure zusammenarbeiten. Im Moment sind die Zuständigkeiten fragmentiert, das ist schwierig. Wir wohnen heute oft nicht am gleichen Ort, an dem wir arbeiten. Prävention muss kantonsübergreifend sein. Ich wünsche mir Strategien, die mit Expertinnen und Experten im Feld erarbeitet werden – und, falls nötig, gesetzliche Grundlagen, z. B. für Verbote oder zusätzliche Gelder. Da hakt es. Wir haben Strategien zu nichtübertragbaren Krankheiten, Sucht, Krebs – diverse Strategien. Aber das Parlament streicht dem Bund bzw. dem BAG das Geld zusammen. Wir haben tolle wissenschaftliche Arbeit, aber die Umsetzung ist nicht möglich, weil das Geld fehlt. Das ist absurd. Wir fordern immer neue Strategien – aber eine Strategie nur auf dem Papier nützt nichts. Wenn wir eine Strategie wollen, müssen wir sagen: Das hat ein Preisschild, und es muss uns das Geld wert sein. 00:07:28 Jenny Ein anderer Punkt in der Präventionsstrategie 2040: Zusammenarbeit von Bund und Kantonen. In der Bevölkerung gibt es Wohlwollen für so eine Strategie. Gleichzeitig ist Prävention eher in der Kompetenz der Kantone. Bevormundet man die Kantone nicht mit bundesweiten Strategien? Wie siehst du das? 00:08:03 Sarah Ich verstehe, dass es so wirken kann. Aber 24 verschiedene Präventionsstrategien machen keinen Sinn. Schon wegen der Ressourcen für Erarbeitung, Monitoring und Weiterverfolgung ist eine gemeinsame, übergreifende Strategie sinnvoll, in die alle einbezogen sind. Uns fehlt aber eine gesetzliche Grundlage für allgemeine Prävention auf nationaler Ebene. Bei Krebs oder Suizid gibt es Grundlagen, aber vieles fehlt. 2012 ist das Präventionsgesetz, wenn ich mich recht erinnere, im Nationalrat an einer Stimme gescheitert. Im Moment denkt man – etwa in der Schweizerischen Gesellschaft für medizinische Wissenschaft – laut über ein Gesundheitsgesetz nach. Wir müssen heute vieles über das Krankenversicherungsgesetz regeln. Prävention setzt idealerweise dort an, wo man noch nicht krank ist, mindestens die Primärprävention. Es wäre sinnvoll, dass man dafür nicht zuerst eine Diagnose braucht. Instrumente auf Bundesebene sind derzeit im Wesentlichen auf Strategien beschränkt, mit wenigen Ausnahmen. Ich hoffe, dass ein Gesundheitsgesetz kommt, in dem Gesundheit im Vordergrund steht – nicht Krankheit. 00:09:25 Lukas Kommen wir zur direkten Versorgungssituation, mit deiner Erfahrung im Management psychiatrischer Kliniken. Da kommt viel zusammen. Gibt es in der heutigen Versorgungslage – trotz starkem Gesundheitswesen – echte Probleme? Viele deuten sich in der Psychiatrie: Versorgungsengpässe, Fachkräftemangel, eine neue Finanzierung, die nicht klar ist, erschwerter Zugang, und das Gefühl, die psychische Gesundheit, vor allem junger Frauen, stehe unter Druck. Wo siehst du die Probleme, und wo brauchen wir andere Lösungen? 00:10:20 Sarah Ich will mit etwas Positivem anfangen, bei all dem, was negativ tönt: Die Enttabuisierung psychischer Probleme und Krisen finde ich extrem positiv. Man traut sich, Hilfe zu holen, schämt sich nicht mehr – früher hiess es despektierlich „in die Klapse“. Aber gewisse Bevölkerungsgruppen sind massiv belastet – bis in Krankheit hinein. Besonders bei Kindern und Jugendlichen gibt es einen Engpass, das weiss man. Kinder- und Jugendpsychiatrie gilt offiziell als unterversorgtes Fachgebiet. Sie haben nun etwa eine Sonderregelung zusammen mit Hausärztinnen und Hausärzten – sie können schneller zugelassen werden. Das Problem ist damit noch nicht gelöst, aber es ist anerkannt. Neben der Unterversorgung sind auch die Kosten ein Thema: Die direkten Kosten sind das eine – Spitalaufenthalt, Therapie etc. Das andere sind volkswirtschaftliche Kosten, je nach Studie bis zu 7

    31 min
  3. Psychiaterin Esther Pauchard: "Zu viel Anspruch, zu wenig Kapazität. Die 100%-Illusion im Gesundheitswesen"

    EPISODE 3 · VIDEO

    Psychiaterin Esther Pauchard: "Zu viel Anspruch, zu wenig Kapazität. Die 100%-Illusion im Gesundheitswesen"

    Stress, Perfektionismus und die Frage: Wie bleiben wir handlungsfähig – persönlich und im System? Lukas Golder und Jenny Roberts sprechen mit der Psychiaterin Esther Pauchard über realistische Erwartungen (oft reichen 70 %), die Verwechslungsgefahr von Krise und Krankheit, und warum Schonung und Vermeidung selten stärken. Pauchard plädiert für offene Gespräche am Arbeitsplatz, entstigmatisiert Diagnosen ohne sie zu romantisieren und zeigt, wie wir die «Tragenden» im Gesundheitswesen schützen. In der Folge erwähnte Studien: Krebsversorgungsmonitor Begleituntersuchung FMH Schweizerische Gesundheitsbefragung (BFS) CSS-Gesundheitsstudie Transkript zur Episode 00:00:12 Lukas Herzlich willkommen. Fokusthema Gesundheit. Jenny, das Gesundheitswesen ist unter Druck. Wir sind aber auch als Gesellschaft irgendwo insgesamt immer mehr unter Druck. 00:00:24 Jenny Ja, ich habe auch diesen Eindruck. Zumindest ist es ein Thema, das ich auch häufig in meinem persönlichen Umfeld bespreche. Wir reden oft darüber, wie es den einzelnen Leuten geht, aber auch uns allen als Gesellschaft. Die psychische Gesundheit ist sicher auch ein grösseres Thema. Aber auch Stress ist ein grosses Stichwort. Unter anderem wissen wir aus der Gesundheitsbefragung vom BFS, dass mittlerweile im Vergleich zu vor zehn Jahren fast ein Viertel der Leute in der Schweiz sagen, dass sie regelmässig Stress am Arbeitsplatz erleben. Ich denke, es sind ganz verschiedene Themen, die wichtig sind und auf die ich mich freue, im heutigen Gespräch zu vertiefen. 00:01:04 Lukas Reden wir mit der Psychiaterin darüber. Herzlich willkommen, Esther Pauchard. 00:01:09 Esther Merci vielmals. 00:01:09 Lukas Wir haben über eine Gesellschaft geredet, die sich im Stress fühlt, aber du selber hast eigentlich schon als Kind sehr viel Zeit im Spital verbringen müssen, mit einem Hüftleiden von Geburt an. Und du hast nachher als Mutter und bereits in einer Führungsfunktion als Psychiaterin auch noch eine Krebsdiagnose ertragen müssen. Ist es dir selber in diesem Moment zu viel geworden? 00:01:33 Esther Nicht zu viel, aber es hat mich hübsch herausgefordert. Es hat mir ehrlicherweise sehr gut getan, mich einmal auf der anderen Seite des Pults wiederzufinden. Nicht immer auf dieser Seite als Behandlerin, sondern eben als Patientin. Ich habe extrem viel gelernt. Was ich heute aber im Nachhinein sagen kann: Es hat mich auch sehr, sehr gestärkt. Ich will es nicht missen. Es hat mehr aus mir gemacht, als ich vorher war. 00:01:54 Jenny Du hast ja schon die Unterstützung von deinem Mann erwähnt, gerade in dieser schwierigen Phase. Etwas, was wir dank dem Krebsmonitor wissen, den wir unter anderem durchführen, ist, dass grundsätzlich in der Schweiz Leute, die betroffen sind von Krebsdiagnosen, das Gefühl haben, die Versorgung habe eine recht hohe Qualität. Also man ist insgesamt ziemlich zufrieden. Wenn es aber Punkte gibt, die man noch verbessern könnte, nennen die Leute öfter mal die Unterstützung der Betroffenen selber und für ihre Angehörigen, was den psychischen Bereich anbelangt. Hast du das auch so erlebt, dass du dir dort eigentlich mehr Unterstützung gewünscht hättest? 00:02:33 Esther Ich kann es nicht so sagen, aber es ist noch schwierig. Wir sind halt Selbstversorger. Das macht die Situation ein bisschen schwierig. Ich finde eher, dass die Angebote von der Psychoonkologie her recht ausgebaut sind. Mir wurde dort ganz viel angeboten, das ich hätte nutzen können, das ich aber nicht brauchte. Ich denke, in den allermeisten Fällen, sei es bei einer Krebsdiagnose oder sonst bei belastenden Lebensumständen, arbeiten wir selber oder miteinander – mit Angehörigen, mit Freunden, mit Leuten rundherum. Das habe ich dann gemerkt. Ich habe wirklich den Eindruck gehabt, dass meine Leute so wie ein Ring um mich schlossen. Und das habe ich ganz stark empfunden. Ich habe immer gedacht: Alleine alles schaffen – easy. Das hat mir sehr gut getan. Darum habe ich den dritten Kreis, den professionellen, gar nicht gebraucht. Aber ich habe den Eindruck, es gibt viele Angebote. Das ist schon ausgebaut. 00:03:20 Lukas Du gehst ja noch weiter. Du sagst, dass das auf eine Art deine Beziehung zu deinen Kindern gestärkt hat. Indem eine Belastung von dir auch mal für sie spürbar wurde. 00:03:35 Esther Am Anfang war es natürlich schrecklich. Sag mal deinen Kindern, du hättest ein unbekanntes Krebsleiden, das auch eine Metastase sein könnte. Und ich dachte, ich schade diesen Kindern. Ich mache sie kaputt damit. Aber jetzt haben wir gemerkt, wir sind stärker geworden. Wir haben alle zugelegt durch das. Dann hat es auch sie mal gebraucht. Dann haben sie mich auch mal weinen gesehen. Sie haben meine Angst gespürt. Sie haben gespürt, wie ich auf diesem Weg bin. Aber auch, wie ich wieder aufgestanden bin. Und dass man das eben bewältigen kann. Ich glaube, das hat uns als Familie sehr viel mehr gebracht, als wenn es einfach glatt gelaufen wäre. 00:04:05 Lukas Ich glaube auch, dass durch die Bewältigung deiner eigenen Wege und die Verarbeitung deiner eigenen Wege oder deiner Familie es so gekommen ist, dass du immer mehr versucht hast, auch etwas Grundsätzliches zurückzugeben. Und nicht einfach sagen, was kann man machen in der Einzeltherapie oder in der Therapieinstitution, sondern dass du denkst, jetzt gehen wir einen Schritt weiter. Die Gesellschaft ist wirklich unter Stress. Jenny hat es angetönt. Das Empfinden ist am Wachsen. Es sind sehr viele Elemente von Druck. Jetzt wollen wir natürlich von dir wissen, wie wir damit umgehen. 00:04:46 Esther Ich finde, es lohnt sich schon mal, den Druck genauer anzuschauen. Du hast das Wort Stress, also Stressempfinden, gebracht, und das ist ein sehr treffender Begriff. Einerseits haben wir ja den Stressor, also den Druck, der von aussen kommt. Das kannst du physikalisch sehen. Wenn ich etwas doppelt so schnell machen muss, dann habe ich doppelt so viel Druck. Wenn ich doppelt so viel Gewicht tragen muss, dann auch. Das ist das Technische. Aber dann habe ich auf der anderen Seite noch meine persönlichen Komponenten. Wie bewerte ich es? Wie verarbeite ich es? Kann ich damit umgehen? Kann ich es abfangen? Oder heize ich mein Stressempfinden noch immer mehr an, indem ich Widerstand entwickle? Das finde ich ganz wichtig. Wenn die Welt so ist, wie sie ist – und das ist hier der Punkt –, aber ich habe die Welt gerne so, wie sie sein sollte, in diesem Idealzustand, dann ist das, was hier zwischendurch ist, die Spannung, die es gibt; je grösser die ist, desto schlimmer. Man nennt das die Inkongruenz. Und was hier ganz wichtig ist, ist eben auch unsere Erwartung. Und an dem, habe ich den Eindruck, kranken wir heute auch. Das merke ich immer wieder. Wir gehen so davon aus, es muss alles ideal laufen. Also wir haben unsere Normlatte auf einen Idealzustand raufgetan. Und nach dem Motto: 100 % müssen wir schaffen. Und da ist natürlich klar, dass wir viel, viel schneller in ein Stressempfinden kommen, dass es eine Fehlermeldung gibt, dass wir finden: Das kann ja nicht sein – und empört reagieren –, als wenn man sagen würde: Ja gut, also mit 70 % bin ich schon zufrieden. Und diese Aspekte finde ich schon wichtig, dass wir dort hinschauen. Weil sonst laufen wir Gefahr, dass wir nur die äussere Situation anschauen und sagen, man sollte doch. Oder noch besser, die anderen sollten doch. Das hilft uns nicht. Es kann auch sein, es kann wahr sein, aber es hilft uns nicht. 00:06:28 Lukas Ja, wir haben ... ja, insgesamt die Herausforderung als Gesellschaft, eben gewisse Elemente zu bewältigen. Und du sagst, ganz wichtig ist die Analyse zwischen dem, was wir empfinden, und dem, was wirklich das Problem ist. Es gibt halt auch Probleme, die nicht so bewältigbar erscheinen. 00:06:48 Esther Es gibt auch solche, die nicht bewältigbar sind. Das Mindset im Sinne von: Wenn ich nur das Richtige mache, dann kann ich alles bewältigen. Das stimmt nicht. Ich kann nie 100 % bewältigen, aber auch nicht null. Und den Rest, den ich nicht bewältigen kann, mit dem muss ich auch etwas machen. Das ist auch wahr. Und dort ist die Akzeptanz ein relativ wichtiger Begriff. Wie komme ich damit klar? Wie bewerte ich das? Strecke ich die Waffen? Lasse ich mich fallen? Sage ich: Dann hat alles keinen Sinn mehr? Oder schaffe ich es, in dem Bereich, in dem ich etwas machen kann, das herauszuholen, was ich kann? Das sind alles Fragen, die wir uns stellen müssen. Ganz losgelöst davon, dass wir uns, glaub, alle einig sind, dass unser Lebensstil, unsere Umgebungsfaktoren zu wünschen übrig lassen und wir einiges noch herausholen können. Aber allein das – wenn wir nur das sehen – lässt uns in eine Opferhaltung hineinfallen. 00:07:36 Lukas Ja, Ohnmacht haben wir auch vor allem bei den Jungen, die wir beobachten konnten. 00:07:41 Jenny Ja, ich finde es einfach ganz wichtig, das, was du sagst – das sieht man auch gut in den Zahlen. Beispielsweise jetzt in der CSS-Gesundheitsstudie: Immer mehr Leute geben an, dass sie sich permanent unter Druck fühlen, um leistungsfähig zu bleiben. Und gerade wenn man so Unterschiede anschaut zwischen verschiedenen Generationen, zwischen den Geschlechtern, etwas, das halt fest auffällt und auch oft in den Medien Thema ist, ist der Unterschied – oder der Fakt –, dass vor allem junge Frauen sehr oft angeben, dass es ihnen psychisch nicht so gut geht im Vergleich zu den anderen Gruppen. Mich würde es mega interessieren – aus deiner klinischen Erfahrung und auch sonst –, wie du das wahrgenommen hast. Ist das eine demografische Gruppe, die uns besonders Sorgen machen müsste, oder müssen wir das Ganze noch breiter denken? 00:08:27 Esther Ich denke, breit denken ist nie falsch. Ich finde es immer sehr gefährlich, wenn wir sagen, die Gruppe ganz speziell, die sind speziell. Es betrifft uns schlussendlich immer alle als ganze Gesellschaft. Ja

    30 min
  4. Novartis Schweiz-CEO David Traub: «Pharma-Forschung ist ein Hochrisiko-Geschäft»

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    Novartis Schweiz-CEO David Traub: «Pharma-Forschung ist ein Hochrisiko-Geschäft»

    Wie viel Pharma braucht die Schweiz – und zu welchem Preis? Lukas Golder und Jenny Roberts sprechen mit David Traub, CEO von Novartis Schweiz, über Kritik an Medikamentenpreisen, lange Wartezeiten auf neue Therapien, Innovationsdruck und politische Regulierung. Im Zentrum steht die Frage, wie sich Interessen von Patient:innen, Öffentlichkeit, Politik und Industrie überhaupt austarieren lassen – und was das für die Zukunft des Gesundheitsstandorts Schweiz bedeutet. Im Podcast zitierte Studien: Swiss eHealth Barometer UBS Sorgenbarometer EFPIA Patients W.A.I.T. Indicator 2024 Survey Transkript zur Episode 00:00:12 Lukas Herzlich willkommen bei gfs.echo, dem Podcast von gfs.bern, wo wir die drängendsten Probleme gemäss Sorgenbarometer beleuchten, in dieser Staffel Gesundheitspolitik. Heute haben wir einen ganz besonderen Akteur zu Gast, nämlich die Pharmaindustrie. Eine Pharmaindustrie, die nicht den einfachsten Stand in der öffentlichen Meinung hat. 00:00:31 Jenny Das ist so, ja. Aus dem Gesundheitsmonitor unter anderem wissen wir, dass die Stimmbevölkerung einerseits Pharma als sehr wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Schweiz anerkennt, als wichtigen Arbeitgeber. Gleichzeitig gibt es auch verschiedene Herausforderungen, gerade so im Bereich Medikamentenpreise und grundsätzlich Kosten im Schweizer Gesundheitswesen. Das ist etwas, was viele Leute beschäftigt. 00:00:53 Lukas Ja, zu Gast ist der CEO von Novartis Schweiz. Herzlich willkommen, David Traub. 00:00:58 David Merci viel Mal. 00:00:59 Lukas Jenny hat es schon etwas angekündigt, das ist eine relativ komplexe Rolle. Auf der einen Seite wäre die Einstiegsfrage in einem Satz, wo die Pharma heute steht und was die grössten Herausforderungen sind, wenn wir über die Schweiz und das Gesundheitssystem sprechen. 00:01:16 David Ja. Die Schweiz und ihre Pharmaindustrie war eine einmalige Erfolgsgeschichte über die letzten Jahrzehnte. Im Moment würde ich sagen, wir stehen im Prinzip nach wie vor an einem starken Ort, was den Wirtschaftsfaktor angeht, was die Zusammenarbeit im Ökosystem angeht. Aber wir sind natürlich unter Druck und das betrifft am Schluss nicht nur uns als Pharmaindustrie, auch vor dem Hintergrund der jüngsten internationalen Entwicklungen, sondern wir machen uns grosse Sorgen um einerseits den Wirtschaftsstandort, aber was mich persönlich noch mehr beschäftigt, ist die Versorgung von Patientinnen und Patienten in der Schweiz mit modernen Medikamenten. Die hat sich verschlechtert in den letzten Jahren. Und wenn wir sehen, was jetzt international passiert, dann besteht tatsächlich das Risiko, dass sich die Erosion noch deutlich beschleunigen könnte. 00:02:04 Lukas Also innenpolitisch und aussenpolitisch viel zu diskutieren. Und irgendwo hat man bei der Pharma immer wieder das Herzstück, eben die innovativen Therapien, gerade bei der forschenden Pharmaindustrie, wo man darüber spricht. Jetzt ist aber in letzter Zeit oft Kritik gekommen, dass es eigentlich nur noch kleine Schritte sind, fast Pseudo-Innovationen, wo man aber einen sehr hohen Preis dafür verlangt. Ist dieser Fortschritt in den letzten Jahren ein bisschen abgedämpft worden? Ist gar nicht mehr so viel möglich? Ist die Zitrone ausgepresst? 00:02:32 David Ich bin froh, dass Sie mir diese Frage stellen, weil ich muss sagen, ich sehe das diametral anders. Ich bin selber Arzt, ich habe bis vor 20 Jahren in der Klinik gearbeitet. Und ich muss sagen, wenn ich jetzt zurückschaue, in den frühen 2000er Jahren, als ich im Kantonsspital Liestal als Assistenzarzt unterwegs war, im Vergleich zu heute, es gibt eine enorme Anzahl von Krankheiten, die sich gar nicht mehr gleich manifestieren, für Patienten gar nicht mehr die gleiche Bedeutung haben, wie zu seiner Zeit. Wenn ich Ihnen ein paar Beispiele nennen sollte, einfach um konkret zu werden. Von potenziell tödlichen Erkrankungen wie Krebs oder HIV, viele Krebsarten von HIV ganz zu schweigen, chronisch behandelbar, man kann damit leben. Chronische Erkrankungen wiederum von Hepatitis C über Multiple Sklerose über diverse Autoimmunkrankheiten bis zu Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nicht mehr die gleichen Erkrankungen heute für Patienten, wie sie es vor 20 Jahren waren. Alles, was ich vor 20 Jahren gelernt habe, ist im Prinzip vollkommen obsolet und das ist zu einem grossen Teil eine Konsequenz von den enormen Fortschritten, die die Pharma-Forschung in den letzten 20 Jahren gemacht hat und weitermacht. Die einzelnen Schritte sind manchmal gross und manchmal sind sie begrenzt, das ist klar, aber in der Summe ist es enorm, was wir erreicht haben. Darüber hinaus muss ich auch sagen, in diesen 20 Jahren sind die Medikamentenkosten als Anteil des gesamten Gesundheitssystems konstant geblieben, immer bei 12% in der Schweiz, was übrigens im internationalen Vergleich relativ tief ist. Das heisst, wir haben den ganzen Fortschritt, die ganzen Revolutionen in der Medizin, in den verschiedenen Erkrankungen, eigentlich bekommen, ohne dass es dadurch zu einer Explosion der Kosten gekommen wäre. Ich muss sagen, darauf dürfen wir auch stolz sein. 00:04:32 Jenny Ein Punkt noch zur Innovation, wo mich deine Meinung sehr wunder nehmen würde, weil es auch etwas ist, was der Bevölkerung sehr kontrovers angeschaut wird, ist das Verhältnis zwischen dem Gewinn, das es natürlich braucht, um die Innovationen finanzieren zu können, aber gleichzeitig auch das Gefühl der Stimmbevölkerung, dass es nicht mehr so in einem guten Verhältnis zueinander steht. Der Gewinn einerseits und auch die Notwendigkeit, um das in die Innovationen investieren zu können. Wie würdest du das einschätzen? 00:05:01 David Das ist auch eine super Frage. Darf ich kurz ausholen, weil ich glaube, es gibt zwei, drei Punkte, die in diesem Zusammenhang relevant sind. Das eine ist vielleicht die Frage, macht die Pharma zu viel Gewinn? Wenn wir jetzt die Industrie insgesamt anschauen, dann ist die Profitabilität der Pharmaindustrie auf dem gleichen Level wie andere Hightech-Industrien, wie Hardware, Software, ist deutlich niedriger als zum Beispiel der Energiesektor. Oder Alkohol und Tabak übrigens sind auch deutlich profitabler. Also es ist nicht so, dass die Pharma jetzt völlig raussticht. Und es ist auch klar, dass das nicht so sein kann, weil wenn es so wäre, dass wir viel zu profitabel wären, dann dürften unsere Aktienkurse eigentlich nur eine Richtung haben und das ist aufwärts. Das ist nicht so. Und warum ist das nicht so? Das ist der zweite Punkt. Pharma-Forschung ist ein Hochrisiko-Geschäft. Ich war im Raum in den 20 Jahren, in denen ich in der Industrie war, wo man sich entschieden hat, ein Entwicklungsprogramm aufzusetzen für eine Krankheit, wo man schon lange etwas gesucht hat, immer wieder gescheitert ist. Man hat die Erfolgswahrscheinlichkeit von 7% gegeben und das Entwicklungsprogramm hat aber 1,5 Milliarden Franken gekostet. Immer wieder stehen wir an einem Punkt, an dem wir sagen, wir müssen auch mal die grossen Risiken eingehen können. Nur eins von 14 Medikamenten schafft es am Schluss auf den Markt. Kosten von 2 bis 4 Milliarden Franken im Schnitt pro neues Medikament. Das muss sich auch wieder lohnen, sonst stoppt dieser Innovationsmotor. Und der letzte Punkt, den ich dazu anbringen möchte, ist gerade konkret für die Schweiz. Die Pharmaindustrie investiert 9 Milliarden Franken jedes Jahr allein in diesem Land. Für uns, für unsere 9 Milliarden global bei Novartis etwa die Hälfte davon allein in der Schweiz. Wenn man sieht, was wir an Steuern zurückgeben ins System, dann ist eigentlich jeder Franken, den man für ein patentgeschütztes Medikament ausgibt, kommt mindestens dreieinhalb Franken wieder zurück an die Gesellschaft, ans System, an den Staat. Das ist eigentlich eine hervorragende Investition. Nicht nur, und das ist, wenn man selbst ausblendet, dass Patienten bessere Therapiemöglichkeiten bekommen, als sie es früher hatten. 00:07:22 Lukas Du hast es angetönt, du machst dir Sorgen um die Rahmenbedingungen, du hast die Schweiz angetönt, was ihr auch zurückgeben wollt, zum Beispiel auf der Ebene der Steuern. Die Rahmenbedingungen sind aber zum Teil jetzt ein bisschen lautstärker unter Druck gekommen. Man hat von der Pharmaindustrie lautstarke Forderungen gehört. Reden wir über die Innenpolitik, reden wir über das, was eher auf dem Spielfeld der Schweiz läuft. Dort ist die Kostendämpfungsmassnahme 2, dort ist auch die Stimme laut geworden, es sei eine Art wie eine Strafsteuer auf Innovation. Wo liegt dort das Problem? 00:07:54 David Also wenn man jetzt ein bisschen zurückschaut, wir hatten in den letzten fünf Jahren sechs Kostensenkungsinitiative und Kostendämpfungspakete, die durch das Parlament gegangen sind. Eigentlich immer mit einem starken Fokus auf die innovativen Medikamente. Das ist auf der einen Seite nachvollziehbar, wir sind alle Teil von diesem System, wir haben auch eine Verantwortung dafür zu schauen, dass die Kosten unter Kontrolle bleiben im Gesundheitssystem. Aber wir tragen jetzt als Konsequenz von diesen verschiedenen Initiativen, zum Beispiel allein durch die wiederkehrenden regelmässigen Preisüberprüfungen, als einzige Akteurin im Schweizer Gesundheitssystem regelmässig zur Kostendämpfung bei. Jedes Jahr werden dadurch allein anderthalb Milliarden Franken wieder zurück ins System gespült. Dass das Thema wichtig ist und dass wir schauen, dass wir Kostenkontrollen im System haben, da bin ich absolut einverstanden. Das kann ich nachvollziehen. Ich verstand auch, dass alle Akteure in diesem System vor diesem Hintergrund unter Druck stehen. Jetzt muss man aber schauen, wo wir im Moment stehen. Über die letzten fünf, sechs Jahre hat sich der Zugang zu modernen Medikamenten in der Schweiz bereits dramatisch verschlechtert. Und das wird gar nicht so wahrgenommen. Aber wenn man schaut, was auf der Spezialitätenliste landet, das heisst wirklich für jeden

    34 min
  5. Zu viel Vorschriften, zu wenig Zeit für Patient:innen? FMH-Präsidentin Yvonne Gilli über Bürokratie & Digitalisierung

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    Zu viel Vorschriften, zu wenig Zeit für Patient:innen? FMH-Präsidentin Yvonne Gilli über Bürokratie & Digitalisierung

    Bürokratie frisst Zeit, die eigentlich den Patient:innen gehören sollte. Gleichzeitig sollen DigiSanté, neue Tarife und die Ambulantisierung das System effizienter machen – in einem Umfeld, in dem der Ärztemangel immer spürbarer wird. FMH-Präsidentin Yvonne Gilli spricht Klartext über Mikroregulierung, digitale Versprechen, Fehlanreize und die Frage, was es braucht, damit Ärztinnen und Ärzte ihren Beruf auch in Zukunft sinnvoll ausüben können. In der Folge erwähnte Studien: Begleituntersuchung FMH Transkript zur Episode 00:00:13 Lukas Herzlich willkommen zu gfs.echo, dem Podcast von gfs.bern, der die wichtigen Themen des Sorgenbarometers aufnimmt. In dieser Staffel geht es um das Gesundheitswesen. Und heute ein Thema, das ganz tief ins Gesundheitswesen geht, nämlich Bürokratisierung. Jenny, Bürokratisierung ist sicherlich für die Ärzteschaft ein ganz grosses Thema. Du hast ein wenig reingeschaut in die letzte FMH-Begleitforschung. Was ist dort herausgekommen? 00:00:36 Jenny Ja, es ist auf jeden Fall ein Thema. Zum Beispiel geben in der praxisambulanten Ärzteschaft die Leute im Schnitt an, dass sie fast eine Stunde pro Tag damit verbringen, Vorgaben von Behörden und Versicherungen einzuhalten. Das ist doch ein relativ beträchtlicher Anteil des Arbeitsalltags. Das sind so Geschichten ... wie Anfragen bei der Rechnungsstellung oder auch Berichte für Erwerbsausfallversicherungen. Gleichzeitig ist es natürlich so: Die Versicherungen unterliegen selber auch verschiedenen behördlichen Vorgaben. Darum ist es nicht nur ein Problem von einzelnen Prozessen, sondern wirklich insgesamt ein Problem des Systems mit dieser Bürokratisierung. 00:01:17 Lukas Ja, schauen wir einfach in das System hinein. Und da haben wir die bestmögliche Gästin, auch die oberste Ärztin der Schweiz, die aber eben selber auch im ambulanten Bereich lange als Ärztin tätig war. Herzlich willkommen, Yvonne Gilli. Wir haben in diesem Bereich der Bürokratisierung recht viel Kritik im Umfeld der FMH. Sie sprechen von fortschreitender Mikroregulierung und dysfunktionaler Bürokratie. Was sind die Probleme mit dieser Bürokratisierung für die Ärzteschaft? 00:01:49 Yvonne Ja, die sind natürlich ganz vielschichtig. Also das eine ist der Arbeitsaufwand. Also: Was gibt es für Schreibarbeiten oder für Abfragearbeiten zu machen, die man nicht als sinnvoll anschaut im Hinblick auf die Kerntätigkeit? Also das heisst Behandlung, Diagnosestellung, Begegnung mit dem Patienten und der Patientin. Und das hat natürlich zugenommen in den letzten 20 Jahren, bis hin dazu, dass eben ein zu grosser Teil der Arbeitszeit dann auch ineffizient verbracht wird, weil wir ja auch zu wenige Ärzte und Ärztinnen haben. Und dazu gehören zum Beispiel Versicherungsanfragen. Und Ärzte und Ärztinnen reagieren in der Regel auch ganz negativ, wenn das Wort fällt. Es ist aber so, wie es auch schon gesagt wurde: Auch Versicherungen werden kontrolliert, und das heisst, vieles, was in der Gesetzgebung eben an Rahmenbedingungen festgehalten ist und nachher im Detail in der Verordnung geregelt wird, das schlägt dann eben über die Versicherer letztendlich an das Endglied der Kette zurück, und das ist dann der Arzt oder die Ärztin, die dann diese Arbeiten erledigen muss und oft gar nicht merkt, dass das im Hintergrund einen ganz anderen Anfang hatte und die Versicherung auch nur ein Zwischenglied ist dazwischen. Also ein Beispiel sind begrenzte Zulassungen von Medikamenten. Also ich nehme jetzt ein Beispiel von einem Betäubungsmittel, weil mir das jetzt einfach gerade spontan einfällt: Leute, die an einem Hyperaktivitätssyndrom erkranken – und das wächst sich ja nicht einfach aus –, die haben als Kinder eine Diagnose und brauchen dann als Erwachsene oft Medikamente wie Ritalin, das bekannteste, eben situativ immer noch. Und dann kommt eine Kostengutsprache, eine Anfrage von der Krankenkasse: Können Sie uns dokumentieren, dass diese Diagnose schon in der Kindheit gestellt wurde? Und wenn es dann auch noch nicht gerade Ritalin ist, sondern ein neueres Medikament, also eine jüngere Generation von ähnlich wirksamen Medikamenten, dann muss man auch noch begründen, warum man nicht ein Medikament der ersten Generation gibt, sondern ein Medikament der zweiten Generation. Und das sind Aufwände, die eigentlich die ärztliche Expertise übersteuern, und die schauen wir nicht als sinnvoll an. Das ist jetzt ein einziges Beispiel dazu, aber ich würde gerne ein bisschen anschaulich bleiben. 00:04:32 Lukas Ja, nein, tiptop. Wenn ich dich richtig verstehe, ist die Ärzteschaft sehr schnell kritisch, wenn es Nachfragen der Krankenkassen gibt. Also Kostengutsprache als Beispiel, auch wenn man zum Beispiel Rehabilitation möchte oder so. Das ist offenbar schon etwas, wo man sehr rasch das Gefühl hat, die Krankenkassen wollen einfach bürokratisieren. Aber wenn ich dich richtig verstehe, ist im Prinzip dahinter die Mikroregulierung, die du eben so anprangerst. 00:04:56 Yvonne Genau, es ist Mikroregulierung. Also Krankenkassen werden dann eben auch geprüft, die kommen wirklich an die Kassenstellen und schauen, ob sie bei der Verschreibung dieser Medikamente wirklich eine Kostengutsprache eingeholt haben oder ob sie die nicht eingeholt haben. Also es ist wirklich nur das Endglied der Kette. Ärzte und Ärztinnen sind skeptisch gegenüber Versicherern, natürlich noch aus einem anderen Grund. Und das hat manchmal mit dem Arztgeheimnis oder mit der Schweigepflicht gegenüber einem Patienten oder einer Patientin zu tun. Man will versicherungsrechtlich und darf auch versicherungsrechtlich nur genau die Auskünfte an einen Versicherer weitergeben, die er wirklich auch braucht, um seine Arbeit zu erledigen und wozu er auch berechtigt ist. Und sonst wird der Arzt oder die Ärztin strafrechtlich belangt. Und das heisst, es gibt eine Hemmung im Kontakt zwischen den Versicherern und den Ärzten und Ärztinnen. 00:05:52 Jenny Ein Punkt, der mir in der Begleitforschungsstudie sehr fest aufgefallen ist, ist die Dokumentationsarbeit, die man zu Abrechnungszwecken macht. Über die Jahre hinweg gibt die Ärzteschaft in grosser Mehrheit an, dass bei ihr seit einigen Jahren der Eindruck entsteht, dass der Aufwand immer mehr wird. Also eigentlich schon seit einiger Zeit entsteht immer stärker der Eindruck, es wird mehr und mehr. Jetzt aus Sicht der FMH: Was müsste am dringendsten passieren, um so einen langjährigen Trend endlich mal umzukehren? 00:06:21 Yvonne Was wir natürlich versuchen, ist, wirklich am Anfang zu schauen. Der Gesetzgeber hat in den letzten zehn Jahren eine riesige Dynamik entwickelt, etwa 44 KVG-, Krankenversicherungsgesetz-Revisionen. Auf jede folgt dann auch eine Verordnung, und jede wirkt sich wieder ganz direkt auf die Arbeitstätigkeit aus. Das heisst, man muss wirklich zurückgehen, auch bei den Rahmenbedingungen für die Gesellschaft gegenüber den Ärzten und Ärztinnen, und wirklich nur die Rahmenbedingungen festlegen und nicht ins letzte Detail gehen. Es gibt jetzt gerade wieder ein Gesetz in der Revision, das ist das Epidemiengesetz als Learning von Covid. Dort hat man sich zum Beispiel überlegt, ob man Ärzte oder Ärztinnen verpflichten soll, dass sie rechtfertigen müssen, wenn sie ein Antibiotikum verschreiben, oder dass sie eine spezifische Fortbildung machen müssen, damit sie überhaupt noch in Zukunft ein Antibiotikum verschreiben dürfen. Wir haben in der Schweiz in der Kultur ein Vertrauensprinzip. Das heisst, wir schauen, dass die Leute gut ausgebildet sind und dann fähig sind, ihre Arbeit auch qualifiziert zu machen. Und dem widerspricht natürlich eine Mikroregulierung, die einem Arzt oder einer Ärztin nicht mehr zutraut, ein einzelnes Medikament, das man dann auch im täglichen Gebrauch hat, auch selbstständig zu verschreiben. 00:07:46 Lukas Wenn wir über Effizienz reden, die ja quasi auch eine Antwort auf Bürokratisierung ist, dann hat man manchmal – in den letzten, sagen wir, schweren Diskussionen über das EPD und darüber, dass es nicht vom Fleck kommt – den Eindruck gewonnen, dass die Ärzteschaft nicht nur beschleunigt, sondern manchmal auch ein bisschen bremst. In der Strategie ist das ganz anders. Die setzt eigentlich auf Digitalisierung. Ist da ein neuer Wind bei der Ärzteschaft, oder ist es jetzt besonders wichtig, dass wir in diese Richtung gehen? 00:08:15 Yvonne Wir sind einfach in einer digitalen Gesellschaft, und das hat Vorteile und Nachteile. Wir unterscheiden natürlich: Für uns ist Digitalisierung ein Instrument. Wie wenn ich ein Stethoskop oder einen Blutdruckapparat brauche oder ein EKG-Gerät, brauche ich Digitalisierung, damit sie mir bei der Arbeit hilft. Und es ist eigentlich mittlerweile unbestritten über fast alle Fachrichtungen, dass man die Krankengeschichte von Patientinnen und Patienten elektronisch führt. Das hat natürlich auch Vorteile, weil, wenn man andere Dienste wie Abfragen von Versicherern oder auch Abfragen von Behörden, zum Beispiel von meldepflichtigen Erkrankungen, gut in die Kommunikation mit der elektronischen Krankengeschichte integriert hat, dann muss man nicht ein separates Formular ausfüllen, sondern dann wird das Formular eigentlich schon vorausgefüllt über die Angaben, die man schon drin hat. Das wäre eben die effiziente Digitalisierung. Die ineffiziente ist, wenn die Systeme eben nicht miteinander kommunizieren können, weil das Spital es anders braucht als mein Spezialarzt, mit dem ich zusammenarbeite, und dessen System sich wieder von meinem unterscheidet. Und wir können nicht direkt elektronisch kommunizieren, sondern es geht manchmal so weit, dass man wirklich etwas ausdrucken muss und wieder neu einscannen und dann per E-Mail-Anhang zum Beispiel abschicken – dann auch verschlüsselt abschicken, je nachdem. Und dann wird man natürlich verlangsamt, dann ist man plötzlich viel langsamer, als wenn man noch ein Blatt Papier vor sich

    39 min
  6. Jahresend-Special: Kostensorgen und Vertrauenskrise – warum das Sicherheitsgefühl in der Schweiz wankt

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    Jahresend-Special: Kostensorgen und Vertrauenskrise – warum das Sicherheitsgefühl in der Schweiz wankt

    Zum Jahresende blickt gfs.echo, der Podcast von gfs.bern, auf die grossen Spannungen und Trends des politischen Jahres zurück. Lukas Golder spricht mit Chloé Jans (Senior-Projektleiterin, verantwortlich fürs Sorgenbarometer) und Urs Bieri (Co-Leiter gfs.bern, «Wie geht’s Schweiz?») – begleitet von Jenny Roberts – darüber, warum Kostendruck aktuell so vieles überlagert, wie sich Sorgen und Vertrauen gleichzeitig verschieben und weshalb geopolitische Unsicherheit das Sicherheitsgefühl auch in der Schweiz stärker prägt, als es lange der Fall war.   In der Folge erwähnte Studien: UBS Sorgenbarometer 2025 «Wie geht’s, Schweiz?» ETH-Sicherheitsstudie «Sicherheit 2025»   Transkript zur Episode   00:00:02 Off-Sprecher gfs.echo, der Podcast von gfs.bern. Mit Lukas Golder und Jenny Roberts.    00:00:12 Lukas Festtagsspecial. Heute ist der Podcast ein bisschen  eine Spezialausgabe. Ich freue mich sehr darauf. Chloé Jans ist neben mir. Sie ist Senior-Projektleiterin und für das Sorgenbarometer zuständig. Wenn ich von Co-Leiter rede, ist das Urs Bieri eben der Co-Leiter, der «Wie geht's Schweiz?» für die SRG zum Beispiel macht. Und Jenny ist wie immer bei mir. Sie hat auch ein bisschen andere Studien angeschaut. Und der Eindruck ist für mich, es war ein Jahr der Widersprüche.    00:00:39 Jenny Ja, also du und ich haben uns in den letzten Monaten natürlich stark mit dem Thema Gesundheitspolitik beschäftigt, im Rahmen der ersten Staffel von gfs.echo und mich dünkt schon auch, also vor allem bei einem Punkt, der sich durchgezogen hat, habe ich immer wieder Widersprüchlichkeiten gesehen und das ist die ganze Kostenfrage. Also wir haben einerseits die Bevölkerung, die sich ein super Gesundheitssystem weiterhin wünscht, mit viel Innovation und gleichzeitig verfolgt uns auch die Kostenfrage und es stellt sich die Frage, inwiefern wir das in Zukunft in den Griff kriegen.    00:01:08 Lukas Prämien waren die Top-Sorge in den letzten Jahren. Wie sieht es im Moment aus bei den Sorgen?    00:01:13 Cloé Ist auch dieses Jahr wieder an erster Stelle. Natürlich auch vor dem Hintergrund von Gesundheitsversorgung. Man möchte, wie du gesagt hast, Jenny, das Wichtigste und das Beste haben. Aber natürlich vor allem auch im Zusammenhang mit der Kostenfrage. Die Prämienlast drückt. Das sieht man ja auch bei diversen politischen Anliegen. Es sind nicht nur die Gesundheitskosten, die das Thema sind. Wohnkosten reden wir auch immer wieder darüber, stimmen wir ab. Und im Sorgenbarometer haben wir auch gesehen, zum Beispiel plötzlich Sparen, Staatskosten sind auch ein Thema. Also Kosten, definitiv eines der Themen 2025.    00:01:46 Lukas Die Sorgen stehen ja auch ein bisschen im Zentrum bei diesem Barometer. Man fragt ganz konkret, was ist das dringendste politische Problem? Aber es ist auch ein Vertrauensteil da, in diesem Sorgenbarometer. Ist das auch wieder so ein Widerspruch, immer mehr Sorgen um die eigene Situation finanziell, aber auf der anderen Seite wenig Vertrauen?    00:02:07 Cloé Ja, also ich glaube, was man als Erstes sagen muss, trotzdem, dass man weniger Vertrauen in das politische System im Bundesrat vor allem dieses Jahr hat, es gab ja auch recht viel Dissonanz aus dem Bundeshaus dieses Jahr, ist es so, dass das Vertrauen international vor allem immer noch recht hoch ist. Und was ich eben vor allem auch einen Widerspruch finde, das ist etwas, wo man vielleicht auch gleich den Urs einbeziehen könnte, weil seine Studie habe ich geklaut aus der "Wie geht's Schweiz?"-Studie. Dort hat es mich mega spannend gedünkt, dass die Leute eigentlich sagen, Kosten sind ein Thema, es stresst mich, es bedrückt mich, es sorgt mich. Aber eigentlich gibt es nicht so viele in der Schweiz, die wirklich, wirklich unter prekären ökonomischen Umständen leben. Und das ist auch quasi die Dringlichkeit, die gesellschaftliche, die das Thema hat und die individuelle Situation sind auch ein bisschen andere.    00:02:54 Urs Also ich finde genau das spannend, wenn man "Wie geht's Schweiz?" aus der Sicht, wie geht es mir als Einwohner, Einwohnerin in diesem Land, in meiner Familiensituation, mit meinen Kindern, die vielleicht auch in der Schule sind oder ich bin älter und habe irgendeine Pension oder eine kleine Pension, wirklich anschaut, was mit Sorgen tatsächlich entsteht. Das ist plötzlich ein ganz anderer Sorgenbarometer. Es sind nicht mehr die gesellschaftlichen, die politisch stark diskutierten Sorgen, sondern meine Sorge ist, bin ich reich, bin ich arm, bin ich krank, bin ich gesund und vor allem auch, bin ich einsam oder habe ich ein tragfähiges Beziehungsumfeld? Immer wenn die Antwort Nein ist in diesem Zusammenhang, wenn ich arm bin, wenn ich krank bin, wenn ich einsam bin, dann wird die Sorge zu einer existenziellen Not. Und meine Zufriedenheit in der Schweiz, insbesondere in diesem reichen Land Schweiz zu leben, nimmt enorm ab. Und der Vorteil ist halt, die wenigsten haben das. Die meisten Personen sind eben nicht arm, die meisten Personen sind nicht einsam, sie sind auch nicht krank. Und darum muss es vielleicht rein aus dem eigenen Alltag heraus durchaus eine hohe Krankenkassenprämie leiden. Man geht deswegen nicht auf die Strasse, auf die Barrikaden, solange eben die anderen, die individuell wichtigen Sorgen erfüllt sind, mag es relativ viel als Gesellschaft leiden.    00:04:07 Lukas Ich habe das Gefühl, die Resilienz kommt vielleicht von innen, aber auf der anderen Seite nehmen natürlich die geopolitischen Sorgen auch zu. Hast du nicht aus diesem Sorgenbarometer auch mitgenommen, dass das einfach auch diese Unsicherheit auf das Gemüt wirklich durchschlägt?    00:04:23 Cloé Doch extrem, wir haben es wieder mit extrem existenziellen Sorgen zu tun. Also wir haben wieder Krieg in Europa, das hinterlässt schon auch Spuren, auch wenn man merkt, geht ein bisschen auf das ein, was Urs gesagt hat, dass wir schon in einer sehr privilegierten Lage sind in der Schweiz. Das Sicherheitsgefühl ist trotzdem immer noch relativ hoch, aber Krieg in der Ukraine macht den Leuten mehr Sorgen, deutlich mehr als letztes Jahr, Krieg in Gaza. Einer der grössten Sorgensprünge, die ich in der Geschichte des Sorgenbarometers gesehen habe, ist die Sorge um die Präsidentschaft von Donald Trump. Das ist wirklich etwas, das die Leute extrem beschäftigt. Das Vertrauen in die USA ist wirklich quasi ins Loch gefallen. Und da sehen wir schon, die geopolitischen Unsicherheiten, die machen... den Leuten Sorgen. Und ich finde, die spannende Frage wird sein, wem unterwerfen wir uns? Den USA oder Europa? Weil Europa ist auch wichtiger geworden. Also da sieht man schon, der Druck ist von allen Seiten auf das gallische Dorf Schweiz am einwirken. Und wer am Schluss dann wirklich die Leseweise der Situation bestimmt, das nimmt mich dann Wunder.    00:05:23 Urs Ich finde, das Wort Unsicherheit extrem spannend, wenn man es aus dem eigenen Alltag aus sieht. Ich sehe mal in der Studie "Wie geht's Schweiz?" die Bevölkerung ist viel unsicherer. Sie ist insbesondere mit Blick in die Zukunft unsicherer. Sie ist unsicherer, ob unsere nachfolgenden Generationen noch das Gleiche oder den gleichen Wohlstand erleben wie wir erlebt haben. Und das hat genau mit diesen Problemfeldern zu tun. Also irgendwo sieht man am Horizont dunkle Wolken, die da auftauchen. Man steht selber nicht im Regen, vielleicht sogar wirklich in der Sonne, aber trotzdem sind diese Wolken da. Und man vermutet oder befürchtet tatsächlich, dass es so zufrieden oder so glückselig oder so gallisches Dorf-artig nicht weitergehen wird.    00:06:01 Jenny Du siehst eben, bei "Wie geht's in der Schweiz?", die Bevölkerung ist unsicherer als auch schon, was die eigene Sicherheit anbelangt. Aber vielleicht muss man das auch noch in den Kontext setzen. Es gibt quasi die Sicherheit in der Schweiz drin, die vielleicht zurückgeht, aber insgesamt eigentlich immer noch recht hoch ist. Aber vor allem, wie es Cloédu schon so ein bisschen antönt hat, es geht vor allem um die internationale Sorgen. Beispielsweise habe ich die ETH-Sicherheitsstudie angeschaut und dort hat es mich schon recht gewundert. Es sind nur etwa ein Fünftel der Leute, die eine optimistische Sicht auf die weltpolitische Lage haben. Ich denke, es sind vor allem der Druck von aussen, der dann das Gefühl ausmacht und weniger der Schweiz-interne.    00:06:37 Urs Das spürt man in verschiedenen Studien sehr stark. Du hast es angesprochen mit der Vertrauensfrage. Unser System hat verschiedene Elemente, die wichtig sind in der Demokratie. Wir können teilnehmen, wir haben Teilhabe, wir können abstimmen. Das hilft uns sehr zufrieden mit diesem System. Wir sind auch zufrieden mit mit der Systematik, mit dem Regelwerk von diesem System, mit der Gewaltenteilung, mit dem Gesetzgebungsprozess. Das ist der Bevölkerung eigentlich unbestritten. Was aber tatsächlich das Problem ist, du hast es sehr schön angesprochen, ist auch die Output-Sicht. Und dort hat auch die Schweizer Bevölkerung einfach grosse Fragenzeichen. Ob die Politik als Resultat noch die Probleme lösen kann, die im Moment anstehen, auch wenn man sie vielleicht selber nicht als Problem erlebt. Die Angst und die Befürchtung ist da und sie mindert sichtbar die Zufriedenheit auch in der Schweiz mit dem politischen System. Eine grosse Studie gemacht auch in den Nachbarländern, noch viel weitergehend ist das weiterentwickelt im Ausland, in den Nachbarländern.    00:07:34 Lukas Aber haben wir jetzt eine Vertrauenskrise? Sagen wir jetzt auf der nationalen Ebene, Bundesrat, haben wir gesehen, verliert, ist es eine Vertrauenskrise politischer Institutionen, ja oder nein?    00:07:44 Urs Die spannende Frage ist, wie man Vertrauen definiert. Wenn man sagt, Vertrauen ist "Alle denken gleich", dann haben wir eine Krise, weil wir denken nicht mehr alle gleich, aus ganz vielen Gründen nicht. Aber vermutlich ist ein g

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gfs.echo ist der Politik-Podcast von gfs.bern. In 25–35 Minuten sprechen Lukas Golder und Jenny Roberts aus seinem Team mit Gästen aus Verwaltung, Verbänden, Parteien und NGOs. Locker im Ton, präzise in der Sache: Fakten einordnen, Annahmen testen, Konsequenzen für die Praxis benennen. Jede Folge liefert Zahlen aus aktuellen Studien, eine klare Einordnung und einen Blick nach vorn. Wöchentlich – als Video und Audio.

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