Max und Moritz

nd

ist der Podcast zur US-Politik von Max Böhnel, nd.Korrespondent, und Moritz Wichmann, unserem USA-Spezialisten im Online-Ressort. Zusammen mit dem USA-Liebhaber (und nd.Sportredakteur) Oliver Kern sorgen sie für Er- und Aufklärung. Alle Folgen zum Nachhören auf dasnd.de/maxundmoritz

  1. 11/12/2020

    Wegducken ist keine Antwort

    Joe Biden, das scheint allen außer Donald Trump mittlerweile klar zu sein, wird neuer US-Präsident. Kein Kandidat vor ihm hat je so viele Stimmen bekommen wie er. Trotzdem sprechen manche von einer Enttäuschung. Ist der Wahlsieg Bidens nun ein historisch starkes Ergebnis, oder sind seine Demokraten unter ihren Möglichkeiten geblieben? Beides. Es ist ein deutlicher Sieg geworden. Biden hat nicht nur die Rust Belt-Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania im Norden zurückgewonnen. Er schaffte gleichzeitig, wovon seine Partei seit Jahren träumt: Staaten im Süden wie Arizona und Georgia zu gewinnen. Biden könnte auch prozentual nah an die historischen Wahlsiege von Barack Obama 2008 und 2012 herankommen. Gerade liegt er bei 50,7 Prozent der Stimmen, 2012 hatte Obama 51 Prozent bekommen, und noch sind Millionen Briefwahlstimmen in New York, Illinois und Kalifornien auszuzählen. Barack Obama musste seinerseits nie gegen einen Amtsinhaber antreten. Das aber war immer schon schwieriger. Dennoch sind die Demokraten unter ihren Möglichkeiten geblieben, weil Umfragen sie vorher noch weiter vorn gesehen hatten. Staaten wie Florida, North Carolina und Iowa haben sie dann aber doch verloren. Da die Niederlage in Florida schnell in der Wahlnacht feststand, hat sich das mediale Narrativ der Enttäuschung gehalten. Im Repräsentantenhaus hielten die Demokraten ihre Mehrheit zwar, verloren aber einige Sitze. Im Senat ist nur noch ein Gleichstand möglich. Wie erklärst du den Unterschied zur Präsidentenwahl? Im Senat bleibt den Demokraten tatsächlich noch ein ganz schmaler Pfad zur Mehrheit. Dazu müssten sie im Januar beide Stichwahlen in Georgia gewinnen. Den Staat entschied Biden ganz knapp für sich, bei den Senatswahlen lagen aber die Republikaner vorn. Biden ist ein Kandidat, der die wenigen überzeugbaren Wähler in der Mitte für sich gewinnen und gleichzeitig die linke Basis motivieren kann. Es ist sehr unklar, ob Jon Ossoff und Raphael Warnock das im Januar auch schaffen. Vermutlich werden die Republikaner eine knappe Mehrheit halten. Und das würde Bidens Möglichkeiten sehr stark einschränken. Haben denn eher die ganz linken oder die moderaten Demokraten an Zustimmung verloren? Auf jeden Fall die Moderaten. Sie schaffen es nicht, sich offensiv gegen republikanische Falschinformationen und Sozialismus-Angst zur Wehr zu setzen. Sie versuchen nur, möglichst harmlos zu sein. Progressive sagen aber schon lange: Egal, was sie machen, die Attacke »Ihr seid Sozialisten!« kommt so oder so von den Republikanern. Darauf muss man bessere Antworten finden als sich wegzuducken. Biden hat da aggressiver agiert. Er hat diesen Vorwurf aktiv dementiert und auf seine populären Positionen beim Mindestlohn und der Krankenversicherung verwiesen. Warum lagen die Umfragen denn wieder so weit daneben? Die Meinungsforscher meinten doch, sie hätten aus ihren Fehlern 2016 gelernt. Sie waren wahrscheinlich sogar schlechter als 2016. In einem halben Dutzend Staaten lagen die Umfragefehler außerhalb der normalen Fehlerspannen. Vor allem aber lag der Fehler systematisch daneben, so dass fast überall Trump unterschätzt wurde. Vermutlich wurde falsch eingeschätzt, wie gut Trump seine Wähler mobilisieren kann, und dass Corona den Demokraten bei dieser Mobilisierung mehr geschadet hat. Außerdem scheint das Problem größer zu werden, dass weißen Arbeiter gar nicht mehr an Umfragen teilnehmen. Sie sind von normalen Medien und deren Meinungsforschern komplett abgekoppelt. Nichtsdestotrotz: Umfragen sind immer nur grobe Schätzungen. Und in vielen anderen Staaten lagen sie genau richtig. Für eine tiefe Analyse fehlen aber noch Daten. Das dauert ein paar Wochen. Es sind ja noch nicht mal alle Stimmen ausgezählt. Es heißt Trump habe viele Latinos auf seine Seite gezogen. Das zeige sich in Florida. Wenn dem so wäre, hätte er aber Arizona nicht verlieren dürfen. Wie passt das zusammen? Wird hier der Begriff »Latino« zu sehr verallgemeinert? Latinos sind eine sehr diverse Community. Gerade ältere und Kubano-Amerikaner in Miami sind sehr antikommunistisch, sehr republikanerfreundlich. Junge mexikanisch-stämmige Latinos in Arizona dagegen denken komplett anders. Gleichzeitig verändert sich etwas ethnienübergreifend. Schon 2016 war erkennbar, dass die Demokraten immer mehr zur Partei der Gebildeten werden. Bislang war das nur auf Weiße begrenzt. Die weiße Arbeiterklasse bewegte sich auf Trump zu. Jetzt aber ist das auch bei immer mehr Latinos und Schwarzen ohne Universitätsbildung zu erkennen. Es ist also nicht mehr so, dass Latinos und Schwarze zwangsläufig für die Demokraten stimmen, zumal das Thema Einwanderung gar kein Thema im Wahlkampf war. Es gibt dennoch immer mehr Latinos in der zweiten und dritten Generation, die sich als Amerikaner fühlen und neue Migranten nicht ins Land kommen lassen wollen. Bei denen hatte Trump einen gewissen Erfolg. Den sollte man aber auch nicht überbewerten. In der Tat muss wählte die Mehrheit der Minderheiten weiter die Demokraten. Trump versucht gerade, den Sieg Bidens gerichtlich anzufechten. Hat er eine Chance? In mehreren Staaten fordert er Nachzählungen. Die Erfahrung zeigt, dass sich dabei vielleicht ein paar Hundert Stimmen ändern. Er liegt aber überall fünfstellig zurück. Also das wird keine Wahlergebnisse ändern. Außerdem geht Trump gegen die Anerkennung von Briefwahlstimmen vor. Und hier wird bislang eine Klage nach der anderen abgewiesen, auch von relativ konservativen Richtern. Es rechnet keiner wirklich damit, dass die Republikaner damit die Wahl noch gewinnen. Das ist alles eher Wahlkampfgetöse vor den zwei Stichwahlen in Georgia. Und Trump sammelt nebenbei noch Spenden ein. Damit bedient er die Schulden aus seinem Wahlkampf. Das Ganze ist also a) eine große Verarsche der Basis, und b) der Versuch, sie bis Januar bei der Stange zu halten. Geht es nicht auch ein bisschen um Trumps Ego? Er will doch nie als Verlierer dastehen. An dieses Label wird er sich nun aber gewöhnen müssen. Von manchen Republikanern und ihm wohl gesonnenen Fernsehmoderatoren wird er schon darauf vorbereitet, dass er bald abtreten muss. Er bleibe ja mächtig in der republikanischen Politik und habe ein großes Vermächtnis. Da will man schon sein Ego streicheln. Steckt bei Abgeordneten der Partei nicht auch Angst vor Trump dahinter? Mit einem Tweet kann er ganze Karrieren zerstören. Ich glaube schon, dass Trump Kingmaker bleiben wird. Wäre er erdrutschartig besiegt worden, wäre es anders. Aber so ist klar, dass weiterhin fast die Hälfte des Landes hinter ihm steht. Das stärkt seiner Position. Der Trumpismus wird also weiterhin die Politik der Republikaner prägen. Selbst wenn die Demokraten noch eine ganz knappe Mehrheit im Senat gewinnen sollten, wie viel ändert das am Ende wirklich? Moderate Parteimitglieder wie Joe Manchin aus West Virginia haben schon angekündigt, viele Träume der Linken selbst zu blockieren: das Ende des Blockadeinstruments Filibuster oder die Erweiterung des Obersten Gerichtshofs etwa. Georgia ist wichtig. Ich sehe auch das, was Manchin gerade macht, als Wahlkampfgetöse an. Er will die Demokraten als möglichst zentristisch und parteiübergreifend darstellen. Selbst Bidens Rhetorik spricht davon, die Hand zu Trump-Wählern auszustrecken. Aber keiner macht sich Illusionen, dass da viel parteiübergreifende Zusammenarbeit möglich ist. Selbst moderate Senatoren der Demokraten wissen, dass sie von den Republikanern am Ende der Obama-Amtszeit nur blockiert wurden. Die Vorstellung dass sich das nun ändert, ist Blödsinn, mit Verlaub. Sollten die Demokraten in Georgia tatsächlich gewinnen, will Joe Manchin bestimmt auch nicht immer der einzige Nein-Sager in der eigenen Partei sein.

    31 min
  2. 10/30/2020

    Frustriert, aber entschlossen

    Hey Moritz, Zeit über deine letzten Eindrücke vor der Wahl zu reden – und nicht zu vergessen: vor Halloween! Gibt es gerade mehr Wahlkampfschilder für Trump und Biden in den Vorgärten oder mehr geschmückte Gruselhäuser mit geschnitzten Kürbisköpfen? Ungefähr beides zu gleichen Teilen. Viele Häuser sind festlich auf Halloween vorbereitet, vor vielen anderen sieht man aber auch die berühmten Yard-Signs, die kleinen Plastikschilder mit den Namen der Kandidaten. Ich bin die letzte Woche von New Jersey ins ländliche New York gefahren und ziehe gerade weiter nach Pennsylvania und Ohio. Bislang halten sich die Schilder für Trump und Biden die Waage. Das Weiße Haus hat gerade eine Liste mit den Errungenschaften in der Amtszeit Trumps herausgegeben. Ganz oben: Das Ende der Corona-Pandemie. Dabei steigen auch in den USA gerade die Zahlen auf neue Rekordwerte. Wie sehen die Leute das? Mittlerweile ist auch den Republikanern ganz klar, dass Corona real ist. Sie wissen, dass viel von dem, was Trump sagt, übertrieben oder komplett falsch ist. Sie wollen aber diese Rhetorik, die es »den Demokraten mal so richtig zeigt«. Sie wollen Medienkritik. Er gestern sprach ich mit Derek, einem Republikaner im kleinen Städtchen Dunkirk, der gerade zum Fischen auf den Lake Erie raus wollte. Auch er hat Freunde, die an Corona erkrankt waren, sagte er mir. Sie seien aber alle wieder gesund, und Derek hält das alles nun für politisiert. Er steht also weiterhin zu Trump. Dennoch ist Corona wieder das alles bestimmende Wahlkampfthema geworden, und das wirkt sich zu Ungunsten Trumps aus, weil deutlich wird, dass nichts unter Kontrolle ist. Die Totenzahlen steigen wieder an, vielerorts sind Krankenhäuser überlastet. Und jetzt trifft es auch immer mehr das ländliche, weiße Trump-Amerika, weil dort die Warnung vor dem Virus nicht so ernst genommen wurde und viele auf das Tragen von Masken verzichteten. 2016 bin ich wie du jetzt durchs Land gefahren und war erschrocken, wie heruntergekommen manche Regionen der USA waren: Autoreifen lagen en masse auf der Autobahn, viele Häuser fielen auseinander oder standen leer. Die Menschen in diesen Gegenden waren frustriert, dass sich niemand um sie kümmert. Trump hatte ihnen genau das versprochen. Wie ist es jetzt, vier Jahre später? Hier am Rand des sogenannten Rustbelts kann man das immer noch sehen. In Buffalo, vor allem aber drum herum, fährt man an vielen Industrieruinen vorbei. Und es gibt eine Menge Schlaglöcher. In die Infrastruktur dieses Landesteils wurde jahrzehntelang nichts investiert. Deutsche Autobahnen sind ein Himmel dagegen. Die Frustration ist also immer noch da. Aber sie wird politisch von beiden Seiten genutzt. Derek, zum Beispiel ist ein kleiner Geschäftsmann, der sagt, Trump sei gut für sein Business. Er denkt, die Demokraten würden auf vermeintlich ungebildete Trump-Wähler nur hinabschauen. In Interviews sagen unentschlossene Wähler, dass sie erschöpft sind vom Wahlkampf. Auf der anderen Seite werden Rekordzahlen für Früh- und Briefwähler vermeldet. Wie passt das zusammen? Anders als 2016 gibt es kaum noch Unentschlossene. Für Medieninterviews werden mal ein paar rausgepickt, aber das sind nur noch fünf Prozent oder weniger. Vor vier Jahren waren es doppelt so viele. Dennoch passt das sehr gut zusammen, weil die Leute einerseits einfach wollen, dass es endlich vorbei ist. Gleichzeitig zeigt die hohe Wahlbeteiligung, dass sich die Menschen früh entschieden haben. Bekannte von mir aus New York City haben sieben Stunden in der Schlange am Wahllokal angestanden. Die Leute sind zwar müde von Trump, aber gleichzeitig sehr entschlossen, ihn jetzt abzuwählen. Fällt es dir schwer, mit den Leuten in Kontakt zu kommen? Haben sie Lust, mit Journalisten über Politik zu reden? Mir fällt es recht leicht, mit Menschen zu sprechen. Ich gehe in Läden auf sie zu, oder wenn ich irgendwo einen Stopp einlege und übernachte. Ich stelle meist die unverfängliche Frage, was sie von den Wahlen halten? Wenn ich konkreter nachhake, kommen oft auch interessante Antworten. Das eigentliche Problem ist eher, dass es kaum größere Wahlkampfkundgebungen gibt, bei denen man mal ein paar mehr Menschen gleichzeitig treffen kann. Sind die Leute informiert über die Politik und die Kandidaten? Die wichtigsten Sachen kennen sie, aber ich treffe auch immer wieder Menschen, die nicht wissen, wer zum Beispiel die Kandidaten fürs Repräsentantenhaus in ihrem Wahlbezirk sind. Klar wollen wir den normalen Menschen in unseren Geschichten Raum geben. Aber um die Hintergründe der Politik zu verstehen, hat es dann auch mal eine gewisse Berechtigung, Experten und langjährige Beobachter zu Wort kommen zu lassen. Das wollen wir am Montag auch tun: Im Live-Podcast am 2. November um 18 Uhr. Dann mit Max und Moritz und weiteren Gästen. Wir schauen dann auf die letzten Umfragen und erläutern speziell aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte. Also schalten Sie ein!

    17 min
  3. 10/23/2020

    Tiefer gehen, rausfahren!

    Max: Lass uns über die Medien und den US-Wahlkampf reden, Moritz. du bist ja nicht nur zu uns gekommen, um die schönen Herbstblätter zu genießen, sondern du hast ja auch einiges vor. Moritz: Ich habe mir einen Camper gemietet und werde die nächsten drei Wochen ein bisschen durch die Lande tingeln. Genauer gesagt, wahrscheinlich durch Pennsylvania und vielleicht ein, zwei andere Staaten. Ich will auf jeden Fall ein bisschen flexibel sein, um hinfahren zu können, wenn irgendwo etwas Wichtiges passiert. Wie siehst du die deutsche Berichterstattung über die USA? Ein Problem ist, dass zu oft Journalismus aus der Distanz gemacht wird, aus Washington D. C. - ganz nah dran an der offiziellen Regierungspolitik. Das Ergebnis ist ein Journalismus, der stark fokussiert ist auf Donald Trump. Beim »nd« haben wir schon aufgehört - auch wenn es im Agenturticker immer wieder kommt -, die tägliche Trump-Meldung zu machen. Ein großer Teil der deutschen US-Berichterstattung ist sehr oberflächlich. Das ist menschlich. Denn ein, zwei Korrespondenten in Washington haben selten Zeit, für einen Text drei Tage in dieses Riesenland rauszufahren, um einzufangen: Was denken denn Menschen etwa in Ohio? Ich will ein bisschen tiefer gehen. In deiner Berichterstattung machst du öfter auch Datenjournalismus. Wie gehst du vor, warum ist das wichtig? Ich habe vorher eine Analyse gemacht - das kann man gut vom Berliner Schreibtisch aus machen: Wo gibt es progressive Demokraten-Kandidaten und welche Wahlchancen haben sie? Wie haben diese Wahlkreise in der Vergangenheit gewählt? Dabei habe ich mir einen Bezirk rausgepickt in Upstate New York, der von einem Republikaner vertreten wird, obwohl 2016 Clinton diesen Wahlkreis gewonnen hat. Das ist unentschiedenes Territorium, und da tritt die Parteilinke Dana Balter an. Sie hat Siegchancen und könnte dann den linken Flügel im Parlament verstärken. Datenjournalismus kann eine gute Korrektur sein zu schlechtem und oberflächlichem »Medienexpertentum«, wenn zu schnell zu Schlussfolgerungen gesprungen wird. Prominente Datenjournalisten haben 2016 noch ein paar Tage vor der Wahl gesagt: »Leute, Donald Trump ist nur einen durchschnittlichen Umfragefehler von der Präsidentschaft entfernt.« Aber so genau hat dann keiner mehr hingeguckt, die Medien sind dem Unvermeidlichkeits-Spin der Clinton-Kampagne auf den Leim gegangen. Jetzt ist man vorsichtiger. Max, was meinst du: Haben die US-Medien gelernt aus 2016? Was leider immer noch passiert: Trump sondert Müll ab - die Medien mit Bullshit fluten, das war laut Steve Bannon schon 2016 explizite Strategie -, und der Müll wird im US-Fernsehen dann hin und her gewendet und analysiert, statt ihn einfach außen vor zu lassen. Der alte journalistische Grundsatz »Du musst beide Seiten zu Wort kommen lassen« gilt nach wie vor. Aber es gab auch Fälle, wo TV-Sender bei offensichtlichen Propaganda-Coronavirus-Briefings einfach weggeschaltet haben; Trump-Veranstaltungen werden weniger gezeigt.

    21 min
  4. 09/18/2020

    Donald Trump mit Problemen beim »cash flow«

    Hallo Moritz, keine 50 Tage mehr bis zur Präsidentenwahl, also lass uns mal über den aktuellen Stand reden. Überall liest man ja: Donald Trump holt auf. Stimmt das? Wenn dann nur minimal im Vergleich zum Frühsommer. Seit Joe Biden vor gut 500 Tagen seine Präsidentschaftskandidatur erklärt hat, lag er im Direktvergleich mit Trump immer vorne, im Durchschnitt mit etwa fünf Prozentpunkten. Als dann das Coronavirus kam und im Anschluss die Black-Lives-Matter-Proteste, stieg der Vorsprung im Juni und Juli auf neun Prozent. Von dort ist er jetzt wieder etwas zurückgegangen. Grundlegend hat sich also nicht viel verändert, was sehr beeindruckend ist. Im Vergleich zu allen US-Wahlen vorher ist die Stimmung in den USA geradezu zementiert. Kommt mir auch so vor. Sonst lag ja mal der eine vorn, dann wieder die andere. Diesmal nicht. Richtig, auch die Parteitage haben kaum Bewegung ins Rennen gebracht, was sonst zumindest kurzfristig immer passiert. Trump hat weiterhin schlechte Zustimmungswerte, doch im Vergleich zu 2016 schafft er es diesmal nicht, seinen Gegner ebenfalls mit runter zuziehen und dafür zu sorgen, dass die Wähler Biden genauso schlimm finden wie ihn selbst. Auch bei seinem Law-and-Order-Wahlkampf schafft es Trump nicht, die Schuld an Ausschreitungen Biden zuzuschieben. Ist ja auch logisch, es passiert ja alles unter Trumps Präsidentschaft und Biden trägt gerade keine politische Verantwortung. Trotzdem zog Trump 2016 erst ganz am Ende an Hillary Clinton vorbei. Warum wird ihm das diesmal schwerer fallen? Damals war er schon in den Monaten vorher immer mal knapp dran an Clinton, das hat er 2020 noch nicht geschafft. Es gibt auch viel weniger noch unentschiedene Wähler (13 statt 19 Prozent). Und unter den Stimmberechtigten, die keinen der Kandidaten mögen, würde sich diesmal laut Umfragen eine Mehrheit für Biden entscheiden. 2016 gewann Trump sehr viele davon. Ein weiterer Unterschied ist, dass Joe Biden in vielen umkämpften Bundesstaaten – anders als Clinton damals – nah an der 50-Prozentmarke ist, manchmal sogar drüber. Kaum einer will also für kleine Drittpartei-Kandidaten stimmen. Das ist besonders wichtig: Wenn Biden erst mal über 50 Prozent liegt, kann ihn Trump auch mit allen noch unentschlossenen Wählern nicht mehr einholen. Viele gute Nachrichten von den Demoskopen für die Demokraten. Dazu kommen auch gute Zahlen bei den Wahlkampfspenden. Trump hingegen hat hier Probleme. Ja, es gibt Berichte, dass der Präsident seit Anfang 2019 zwar mehr als eine Milliarde Dollar eingesammelt hat, einen Großteil davon aber dafür nutzte, wieder Fundraising zu betreiben, also neue Spenden zu akquirieren. Insgesamt wurde wahnsinnig viel Geld verbrannt: 800 Millionen Dollar hat Trump schon ausgegeben! Und jetzt fehlt ihm Geld in mehreren Swing-States, um dort die teure TV-Wahlwerbung zu bezahlen. Wer sechs Wochen vor der Wahl in einem halben Dutzend Staaten plötzlich komplett vom Bildschirm verschwindet, hat ein Problem. Sein Team behauptet, dafür im Internet verstärkt auf digitale Werbung zu setzen. Kann das reichen? Ich glaube nicht. Digital hat Trump sicher aktuell einen Vorteil, aber auch da holen die Demokraten auf. Trump versucht ansonsten, auf freie Medienzeit zu setzen. Er ist der Präsident – wenn er etwas sagt, berichten die Medien darüber. Also ist Geld nicht alles, Clinton hatte 2016 auch viel mehr Geld ausgeben und dennoch verloren. Wie kann Trump denn noch gewinnen? Grundsätzlich haben die Republikaner einen kleinen Vorteil im Electoral College, dem komplizierten Wahlmännersystem der USA. Wenn Bidens Vorsprung also auf zwei bis drei Prozent sinkt, dann muss er nervös werden. Auch Clinton hatte ja knapp drei Millionen Wähler mehr, aber ungünstig auf die einzelnen Bundesstaaten verteilt. Richtig. Um den Rückstand zu verringern setzt Trump derzeit auf Latinos, eine wachsende Wählergruppe. Laut Umfragen würden sie noch vermehrt für Biden stimmen, aber nicht in dem Ausmaß wie 2016 für Clinton. Speziell in Florida versucht Trump viele Exilkubaner für sich zu gewinnen, und dort ist es immer knapp. Nur mit Florida auf seiner Seite hat Trump eine Chance im November. Seine Law&Order-Strategie könnte natürlich auch noch erfolgreich sein, wenn er genügend Weißen aus unteren Bildungsschichten Angst machen und ihren Rassismus ansprechen kann. Unter denen gibt es viele Nichtwähler, also auch noch viel Potenzial. Das Problem für Trump ist, dass sowohl Latinos, also auch diese Weißen nur sehr schwer zu mobilisieren sind. Der Journalist Bob Woodward hat Interview-Mitschnitte veröffentlicht, in denen Trump zugibt, die Gefahr der Pandemie heruntergespielt zu haben. Könnte das zum »Sargnagel« für den Präsidenten werden? Diese Präsidentschaft ist eine einzige Kette von Skandalen, und nie hat einer davon wirklich großen Einfluss gehabt, weil das Land schon zuvor so stark polarisiert war. Aber vielleicht sind wir auch etwas zu zynisch, denn manche Dinge haben schon Einfluss. Es gibt Umfragen, denen zufolge 15 Prozent der Trump-Anhänger nach den Aussagen nun Biden unterstützen wollen. Aber dieser Effekt kann schnell wieder verfliegen, wenn Trump mit dem nächsten Skandal die Leute am Ende für alles taub macht. Er versucht es gerade mit Friedensverträgen im Nahen Osten. Hilft ihm das vielleicht? Nein. Die US-Amerikaner interessieren sich nicht für Außenpolitik, außer ihre Söhne und Töchter sollen in einen großen Krieg ziehen. Aktuell sind die Wirtschaft, die Coronakrise, die Proteste gegen Polizeigewalt und vielleicht noch die Klimakrise mit den Bränden an der Westküste die wahlentscheidenden Themen. Die Demokraten warnen gerade vor einer »red mirage«. Das betrifft irgendwie den Ablauf des Wahlabends. Was verbirgt sich hinter dieser Roten Fatamorgana? Es ist die Theorie, dass am Wahlabend zuerst nur die Stimmen ausgezählt werden, die im Wahllokal abgegeben wurden, und in den Tagen danach alle Briefwahlstimmen. Weil Trump seine Anhänger ständig die Briefwahl ausredet, viele Demokraten die aber nutzen wollen, könnte Trump am Wahlabend in vielen Staaten vorn liegen. Die politische Landkarte würde sich rot färben, das ist die Farbe der US-Republikaner. Und der Präsident würde sich dann früh am Wahlabend einfach zum Sieger erklären. Seine Basis von 40 Prozent der US-Bürger könnte das glauben und ihn für den legitimen Präsidenten halten, selbst wenn Joe Biden ihn in den Tagen danach langsam überholt. Für den Fall befürchten viele Beobachter Demonstrationen und Gewalt auf den Straßen. Kann das wirklich so kommen? Ich glaube, dass allein die alarmistischen Warnungen davor schon einiges davon verhindern. Die lokalen Wahlleiter stellen sich derzeit auf eine Rekordzahl an Briefwahlstimmen ein. Nur 15 Staaten erlauben keine Auszählung der Briefwahlzettel vor dem Wahltag. Das heißt, dass es in vielen anderen Staaten gemacht werden kann. Und in den Staaten, wo es nicht geht, werden die Medien hoffentlich vorsichtig sein, jemanden zum Sieger zu erklären, wenn noch nicht genügend Stimmen ausgezählt sind. Es dürfte dann einfach länger dauern, vielleicht mehrere Tage, bis der Sieger feststeht. Analysten sagen aber auch: Wenn Biden am Wahlabend Florida gewinnt, und Florida ist gut in der Auszählung von Briefwahlstimmen, dann ist die Sache so gut wie entschieden. Denn in dem Fall gewinnt er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in vielen anderen Swing-States. Für Trump ist Florida ein Must-Win-State, für Biden ist es »nice to have«. Er hat viele Wege um auf die nötigen 270 Wahlmännerstimmen zu kommen. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben Was macht eigentlich Joe Biden? Wahlkampf aus dem Keller! Erste Erfolge sind sichtbar - die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA Gottgesandt und ausgelacht - Trumps missglückter Wahlkampfauftritt in Tulsa Der Senatswahlkampf ist wichtig - und die Demokraten sind in guter Position Ringen ums Gericht - die Gesundheit von Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist ein Politikum Werben um die Mitte - Joe Biden lässt moderate Republikaner für sich werben Athleten werden zu Politikern - US-Sportler engagieren sich gegen Rassismus und Polizeigewalt, nicht nur symbolisch

    28 min
  5. 09/04/2020

    Athleten werden zu Politikern

    Max (Böhnel) und Moritz (Wichmann) analysieren hier regelmäßig den US-Wahlkampf. Diesmal dreht Max den Spieß um und befragt nd-Sportredakteur Oliver Kern zur jüngsten Protestwelle im US-Sport und deren Auswirkungen auf die Wahlen im November. Hallo Oliver, im US-Sport passiert Spannendes. Profis nahmen wichtige politische Positionen ein und streikten. Was genau ist da passiert? Alles begann vor Monaten mit dem Tod von George Floyd. Viele Profis, vor allem aus der NBA, die von schwarzen Basketballern dominiert wird, gingen zu Demonstrationen, knieten bei der Nationalhymne und forderten Gleichberechtigung auf den Trikots. Als jetzt ein weißer Polizist Jacob Blake in Kenosha in den Rücken schoss, waren die Athleten frustriert, weil die Aktionen nichts zu bringen scheinen. Also gingen die Milwaukee Bucks mitten in den Playoffs in den Streik. Andere Teams in verschiedenen Sportarten schlossen sich an. Reporter hörten mitten in den Sendungen auf zu kommentieren. Und von den Arbeitgebern gab es fast überall Unterstützung. So etwas ist erst mal ein symbolischer Akt. Bleibt es dabei? Die Frage treibt auch die Sportler um. Bringt ein Streik mehr als Parolen auf T-Shirts? Niemand glaubt, dass dadurch der Rassismus verschwindet. Aber in der Gesellschaft wird mehr darüber diskutiert. In kleinen Schritten geht es auch darüber hinaus. Die Basketballer fordern von ihren Klubeignern, mehr Einfluss auszuüben. Die sind oft Großspender von Republikanern. Nun werden sie von den Spielern gezwungen, sich solidarisch mit der »Black Lives Matter«-Bewegung zu zeigen. Selbst die NFL erlaubt Schwarzen jetzt Proteste. Bei Colin Kaepernick, der als erster während der Nationalhymne kniete, war das noch ganz anders. Schon der Boxer Muhammad Ali und die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos sorgten für starke Bilder. Bildsprache geht über Bilder hinaus, das ist nicht nur Symbolismus. Vor allem nicht jetzt. Ali, Smith, Carlos und Kaepernick blieben in ihrem Protest allein. Diesmal stehen ganze Ligen hinter den Athleten - und Schwarz und Weiß zusammen. Daran kommen auch die Fans nicht mehr vorbei, die immer sagten, Sport solle nichts mit Politik zu tun haben. Die NBA-Profis erreichten zudem, dass ihre Hallen am 3. November als Wahllokale fungieren werden. Die Bucks zwangen Wisconsins Gouverneur sogar, eine Parlamentssondersitzung einzuberufen, um über eine Polizeireform abzustimmen. Leider haben die Republikaner dort die Mehrheit und schlossen die Sitzungen nach nicht mal einer Minute ohne Abstimmung wieder. Wie reagieren die politischen Lager auf politische Aussagen im Sport? Die Demokraten stehen geschlossen dahinter, auch viele in der politischen Mitte kritisieren die Polizeigewalt, zum Beispiel in den umkämpften Vorstädten, wo viele Weiße aus der gebildeten Mittelschicht leben. Die ganz Rechten wollen dagegen nichts davon hören. Schon vor Jahren hieß es bei Fox News nur: »Shut up and dribble!« - »Halt die Klappe und dribbel den Ball!« Donald Trump will, dass wieder Sport im Fernsehen läuft, um Normalität vorzugaukeln. Corona soll vergessen werden. Besonders beim College-Football drängt er darauf. Der ist in den weißen Vororten sehr beliebt. Da gehen schon mal mehr als 100 000 Leute ins Stadion. Trump sucht diese Ablenkung und kann Proteste nicht gebrauchen. Warum sieht man nie Proteste von deutschen Spitzensportlern? Naja, selbst in den USA gab es solche Streiks noch nie. Aber in Deutschland fehlt sicher das Problembewusstsein: Polizeibrutalität oder Waffengewalt sind hier keine so großen Themen. Außerdem wird von deutschen Sportlern oft verlangt, in internationalen Konflikten Stellung zu beziehen: 2008 bei Olympia in Peking sollten sie was zur Menschenrechtslage in China sagen, 2014 in Sotschi dann zum Anti-Homosexuellengesetz in Russland. Da wollen sich Sportler nicht einmischen, wenn sich selbst Politiker nicht trauen, diese Themen bei Staatsbesuchen anzusprechen. Den Athleten drohte ja immer der Ausschluss von Olympia, worauf sie vier Jahre lang hintrainiert hatten. Auf der anderen Seite: Im Fußball und Basketball gab es in den Bundesligen Solidarität mit der US-Protestbewegung. Nach dem Tod von George Floyd knieten hier viele Mannschaften. Ganz unpolitisch ist der Sport sicher auch hier nicht mehr.

    24 min
  6. 08/21/2020

    Werben um die Mitte

    Die US-Demokraten haben ihren Parteitag hinter sich. Ganz am Schluss hielt Joe Biden seine Kandidatenrede. Hat sie Dich beeindrucken können? Na ja, es war eine ziemlich normale Rede, was man eben so erwartet von einem solchen Kandidaten. Ein CNN-Journalist sagte treffend, viele Demokraten dürften erleichtert aufgeatmet haben, dass Biden keine Fehler unterlaufen sind. Er stellt sich als »good guy« dar, sprach auch viel über seine Familie und über den Rassismus im Land. Den größeren Teil der Rede, und das war wahltaktisch vermutlich klug, hat er der Wirtschaft gewidmet. Darauf, wie man das Coronavirus und die Arbeitslosigkeit bekämpfen müsse. Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat hätte sicher eine andere Rede gehalten, eine des progressiven Linkspopulismus. Bei Biden klang das harmloser, etwa zum Beispiel, dass die Reichen jetzt endlich ihren fairen Anteil zahlen sollten. Umfragen zeigen, dass das Thema Coronavirus zumindest einige Trump-Wähler umstimmen könnte. Mal gucken, ob es funktioniert. Bei den Zwischenwahlen 2018 punkteten die Demokraten noch erfolgreich mit dem Thema Gesundheitsversicherung. In dieser Woche aber wurde kaum darüber gesprochen. Hat Dich das überrascht? Tatsächlich hat Biden die Gesundheitsvorsorge nur kurz angerissen. Er wolle sie bezahlbar für alle machen, auf Obamacare aufbauen. Mehr Details gab es nicht. Er warnte eher davor, dass Donald Trump die Krankenversicherung für Senioren, Medicare, kürzen wolle. Aber ansonsten spielte das auf dem Parteitag kaum eine Rolle. Warum? Wollte Biden den weiter offenen Streit zwischen den Parteiflügeln unter den Teppich kehren? Nun ja, vor dem Parteitag wurde eine Kompromissposition ausgehandelt: Da steht nun im Programm, dass man Obamacare ausbauen und die Altersgrenze für Medicare auf 60 Jahre absenken will. Alle, die auf »Medicare for all«, also eine gesetzliche Krankenversicherung für alle, hoffen, seien willkommen in der Partei heißt es nur. Der Konflikt ist damit erst mal vertagt. Beide Lager haben schon vor dem Parteitag Kompromisse geschlossen. Wo haben sich die Progressiven durchgesetzt und wo nicht? Viel Erfolg hatten sie in der Klimapolitik. Manche Analysten bezeichnen Joe Bidens neuen Klimaplan schon als eine Form des »Green New Deal«, bloß nennt er ihn nicht so. Er will jetzt Millionen neue Jobs schaffen, indem die Infrastruktur des Landes auf Klimaneutralität umgebaut wird und die Energieversorgung bis 2035 CO2-neutral sein soll. Da hat sich Biden bewegt. Bei »Medicare for All« aber zeigten sich 700 Sanders-Delegierte und sogar einige von Biden enttäuscht und stimmten gegen die Kompromissformulierung. 700 von 4000 Delegierten bleiben aber eine Minderheitenposition. Mit Biden hat sich erneut ein Moderater durchgesetzt, der aber auch die Stimmen der ganz Linken braucht. Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Alexandria Oasio-Cortez durften daher alle auf dem Parteitag sprechen. Dafür aber auch viele Republikaner, die diesmal Biden wählen wollen. Stimmte die Mischung von links und rechts? Man muss sagen, dass man im Gegensatz zu 2016 wirklich versucht hat, mehr Einigkeit zu schaffen und den Parteitag damit auch wirklich zur »Show of Unity« zu machen. Vorher haben sich die Lager in den Einheitskommissionen hart beharkt, und Biden kam den Linken inhaltlich etwas entgegen. Auf dem Parteitag ging er jetzt aber mehr auf enttäuschte Republikaner zu. Leute wie Colin Powell, aber auch kaum bekannte Republikaner-Politiker durften länger sprechen als progressive Politiker mit Millionen Followern wie Ocasio-Cortez, die auf eine Minute begrenzt wurde. Das ist Wahlkampftaktik. Joe Biden soll auch für moderate Republikaner wählbar sein, die von Trump enttäuscht sind. Wo ist denn für Biden gerade mehr zu holen? Ganz links oder bei den Republikanern? Das ist ein bisschen unklar. Es gibt die Theorie, die meint, dass man Wahlen nur dann gewinnt, wenn die eigene Basis stärker mobilisiert wird. Dann müsste Biden ein sehr linkes Programm vertreten, um politisch interessierte junge Menschen zu begeistern. Die werden dieses Jahr aber vermutlich sowieso Biden wählen, weil sie keine Alternative haben. Die andere Theorie ist, dass es immer noch genügend Wechselwähler in der Mitte gibt, die Joe Biden tatsächlich überzeugen kann. Aber eben nur, wenn er nicht zu weit nach links rückt. Donald Trump versucht ihn ja als »Puppe der radikalen Linken« zu brandmarken. Das ist natürlich Blödsinn. Und da helfen Biden vielleicht auch die Unterstützungsserklärungen mancher Republikaner. Die längsten Reden durften – mit Ausnahme von Kamala Harris – die alten Großen halten: die Obamas, die Clintons, und eben nicht die jungen neuen Stars. Ist das eine verpasste Chance? Oder war das klug? Barack Obama und Michelle Obama gehören in den USA tatsächlich zu den beliebtesten Personen überhaupt. Und natürlich bedient diese Rednerauswahl diese Obama-Nostalgie. Aber sie zeigt auch, dass die Demokraten immer noch von über 70-Jährigen beherrscht werden. Vielleicht war es das letzte Schaulaufen der Politiker der Babyboomer-Generation. In vier Jahren könnte das dann schon anders aussehen. Was jetzt schon anders war: Dieser Parteitag war komplett digital. Es gab es viele Videoschnipsel, aber auch Live-Schalten. Da kann auch viel schiefgehen oder lächerlich wirken. Wie haben die Demokraten die Aufgabe gemeistert? Die Einschaltquoten im Fernsehen lagen leicht unter denen von 2016. Es gab aber auch viel Lob online. Es gab keine größeren technischen Probleme, was schon mal etwas wert ist. Und die paar Kleinigkeiten, nahmen die Demokraten gern in kauf oder veröffentlichten sie gar, konnten sie sich dadurch doch als menschlich präsentieren. Etwa wie Frau von Bernie Sanders vor dessen Auftritt an diesem so lange herumtüddelte, bis er sie entnervt wegschickte. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben Was macht eigentlich Joe Biden? Wahlkampf aus dem Keller! Erste Erfolge sind sichtbar - die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA Gottgesandt und ausgelacht - Trumps missglückter Wahlkampfauftritt in Tulsa Der Senatswahlkampf ist wichtig - und die Demokraten sind in guter Position Ringen ums Gericht - die Gesundheit von Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist ein Politikum

    19 min
  7. 08/07/2020

    Ringen ums Gericht

    Die US-Demokraten sorgen sich derzeit sehr um die Gesundheit von Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg. Die Republikaner überlegen, ob man in Sachen Oberstes Gericht vor der Wahl noch schnell was machen kann. Worum geht es, Max? Was die Mehrheitsverhältnisse angeht, steht es 5:4 - fünf Konservative, vier Liberale. Es ist möglich, dass Richterin Ruth Bader Ginsburg innerhalb der nächsten Wochen oder Monate aus gesundheitlichen Gründen ausscheidet, weil sie an Krebs erkrankt ist. Die Richter des Supreme Court werden auf Lebenszeit ernannt. Wenn ein Richter wegen Tod oder Krankheit ausscheidet, dann wird folgendermaßen vorgegangen: Der Präsident schlägt einen Nachfolger vor, dann entscheidet der US-Senat darüber. Wenn Ginsburg also ausscheidet und Donald Trump einen neuen rechten Richter vorschlägt und dieser neue rechte Richter vom Senat durchgewunken wird, dann stünden die Mehrheitsverhältnisse 6:3 »für rechts, beziehungsweise ganz rechts«. In den Monaten vor der Wahl 2016 war die Situation sehr ähnlich. Im US-Senat gab es damals eine Auseinandersetzung um den Richter Merrick Garland. Die Republikaner hatten ihn damals mit einem ganz bestimmten Argument blockiert ... Der Ausgangspunkt am Ende der Obama-Regierung war, dass ein Starrichter der Rechten, nämlich Anthony Scalia, überraschend verstarb. Obama nahm sein Vorschlagsrecht wahr und schlug den Richter Merrick Garland vor, der irgendwo zwischen konservativ und liberal, auf jeden Fall nicht eindeutig rechts, eingestellt ist. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikanischen Partei im Senat, der Obama schon in den Jahren davor mit allen Mittel bekämpft und auch sabotiert hatte, setzte das im Fall Garland fort. Er ließ es mit Verfahrenstricks nicht zu, dass sich Merrick Garland dem Senat vorstellen konnte. Das Argument von McConnell lautete, in einem Wahljahr - es war, wie gesagt, Frühjahr 2016 - dürfe ein Präsident keinen Vorschlag durchbringen. Jetzt ist wieder Wahljahr. Und McConnell sagt jetzt im Fall der krebskranken Richterin Ginsburg das Gegenteil. Für viele konservative Wähler war damals der Supreme Court ein wichtiger Grund, für Donald Trump zu stimmen. Was erwarten sich die Rechten vom Obersten Gericht? Ganz einfach: Die Erschaffung eines »Christian America«. Die konservativen Christen verstehen sich als Kulturkrieger. In ihren Augen führt nur eine in ihrem Sinne moralische Erneuerung der gottlosen Kultur weiter zu einem christlichen US-Amerika. Sie gehen dabei systematisch vor. Sie wissen ganz genau: Der Supreme Court stellt gesellschaftspolitisch die Weichen. 1973 zum Beispiel, als die Richter die Abtreibung weitgehend legalisiert haben, oder vor ein paar Jahren, 2015, als die Ehe für Alle für rechtens erklärt wurde. Kippen kann das nur wieder ein rechter oder ganz rechter Supreme Court. 2015 versprach Trump den konservativen Christen, er würde sich um Richter bemühen, die in ihrem Sinne entscheiden würden. Warum ist die Zusammensetzung des Obersten Gerichts auch für die Wahl im November wichtig? Trump wird die Wahlen wahrscheinlich anfechten, wenn die Abstimmungsergebnisse nicht massiv zugunsten von Biden ausfallen, wenn es in einem Bundesstaat zum Beispiel knapp ausgeht. Beschwerden würden von Instanz zu Instanz gehen und schlimmstenfalls Monate später beim Supreme Court landen. Dafür gibt es schon einen Präzedenzfall, den Wahlausgang im Jahr 2000. Mehrere Landkreise mussten erneut auszählen. Es ging bis hin zu der Frage, wie Lochkarten mit nur halb eingestanzten Löchern bewertet werden sollten. Das Gericht entschied die Wahlen dann letztlich - zugunsten von George W. Bush. Und was erhoffen sich Linke und Progressive vom Supreme Court? Dass Ginsburg noch etwas durchhält, dass liberale Entscheidungen nicht rückgängig gemacht werden und vielleicht auch, dass fatale Entscheidungen, wie die zur Entgrenzung von Wahlkampfspenden von Unternehmen und Reichen aus den Jahren 2010 und 2014, aufgehoben werden. Von George W. Bush ernannte Richter haben diese Entscheidungen möglich gemacht. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben Was macht eigentlich Joe Biden? Wahlkampf aus dem Keller! Erste Erfolge sind sichtbar - die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA Gottgesandt und ausgelacht - Trumps missglückter Wahlkampfauftritt in Tulsa Der Senatswahlkampf ist wichtig - und die Demokraten sind in guter Position

    20 min

About

ist der Podcast zur US-Politik von Max Böhnel, nd.Korrespondent, und Moritz Wichmann, unserem USA-Spezialisten im Online-Ressort. Zusammen mit dem USA-Liebhaber (und nd.Sportredakteur) Oliver Kern sorgen sie für Er- und Aufklärung. Alle Folgen zum Nachhören auf dasnd.de/maxundmoritz