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Der Podcast von Tim Guldimann nimmt aus Politik und Gesellschaft relevante Fragen auf, die über die Tagesaktualität hinausgehen. Die prominenten Gesprächspartner – jeweils eine Frau und ein Mann – sind selbst im Themenbereich aktiv tätig. Monatlich werden laufend zwei neue Debatten aufgenommen. Tim Guldimann leitete Friedensmissionen im Kaukasus und Balkan, war Schweizerischer Botschafter in Teheran und Berlin und war danach bis 2018 Schweizerischer Parlamentsabgeordneter.

Tim Guldimann - Debatte zu Dritt Tim Guldimann

    • Arts

Der Podcast von Tim Guldimann nimmt aus Politik und Gesellschaft relevante Fragen auf, die über die Tagesaktualität hinausgehen. Die prominenten Gesprächspartner – jeweils eine Frau und ein Mann – sind selbst im Themenbereich aktiv tätig. Monatlich werden laufend zwei neue Debatten aufgenommen. Tim Guldimann leitete Friedensmissionen im Kaukasus und Balkan, war Schweizerischer Botschafter in Teheran und Berlin und war danach bis 2018 Schweizerischer Parlamentsabgeordneter.

    Wird Europa bis 2050 klimaneutral? - Mit Günther Oettinger und Susanne Nies

    Wird Europa bis 2050 klimaneutral? - Mit Günther Oettinger und Susanne Nies

    2019 legte die EU mit dem „Green Deal“ das Ziel fest, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Bis 2030 sollen dafür die Treibhausemissionen im Vergleich zu 1990 um 55% reduziert werden („fit for 55“). Im Zentrum steht der Energiesektor, der heute für 3/4 der Schadstoffemissionen verantwortlich ist. Putins Krieg hat das ambitiöse Ziel zusätzlich belastet. Für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen (heute 70% der Primärenergie) soll bis 2035 die EU-Stromproduktion um ein Drittel gesteigert und bis 2050 sogar verdoppeln werden. Das verlangt einen massiven Ausbau des Stromanteils am EU-Energiemix von heute einem Viertel auf 60% bis 2050.

    Wie – oder ob – die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden kann, diskutiere ich mit Günther Oettinger, dem früheren Vizepräsidenten der EU-Kommission und EU-Energie-Kommissar, und der Politikwissenschaftlerin, Energie- und Klimafachfrau Susanne Nies. Beide äussern sich trotz vieler offener Fragen zuversichtlich.

    Als europaweites Projekt hängt Klimaneutralität von der koordinierten Lösung zahlreicher wirtschaftlicher, technischer, administrativer und politischer Probleme ab. Das alles funktioniere, so Oettinger, „nur europäisch, es gibt viel zu viele nationale Alleingänge und Egoismen“.

    Zu vier der diskutierten Problemfelder:

    Heizen verursacht 1/6 des CO-2-Aussstosses in Deutschland. Deshalb ist geplant, die Zahl der energetischen Gebäudesanierungen bis 2030 zu verdoppeln und Heizungen auf Wärmepumpen umzustellen. Die Heizungsdebatte sei deshalb, so Nies, „absolut richtig, aber die Art wie es vermittelt wurde, war eine absolute Katastrophe, das kam rüber als Verbot.“ Deshalb argumentiert auch Oettinger generell für „marktwirtschaftliche Lösungen im Regelfall“, insbesondere durch eine CO-2-Bepreisung (ETS) und für „Gebote und Verbote nur im Ausnahmefall.“

    Das Übertragungsnetz wird zu einem zentralen Engpass des Energieumbaus. „Die Effizienz unserer Stromnetze ist eine Katastrophe, weil Technologien nicht eingesetzt werden, um Stromnetze optimal zu nutzen“, so Nies. Entscheidend für die Konsumsteuerung seien Smart-Meters, damit der Verbrauch in Kenntnis der Kosten erfolgt. „Wie kann es denn sein, dass in diesem Land alle Stromzähler fast alle analog sind.“ Auch Oettinger kritisiert: Durch den Ausbau der Wärmepumpen und E-Mobilität werden „unsere Bestandsnetze in den Städten und Gemeinden völlig überlastet.“ Für den grenzüberschreitenden Stromaustausch ist Oettinger hingegen optimistischer: „Wir sind heute viel weiter als vor 20 Jahren“, das habe sich vor allem in der Zusammenarbeit mit Frankreich im letzten Winter gezeigt.

    Energie-Binnenmarkt und Ukraine: Ein erfolgreicher „Green Deal“ verlangt die Vollendung des Energiebinnenmarkts. Da sei, so Nies, „schon sehr viel passiert (..) Europa ist immer dann vorangekommen, wenn es eine grosse Krise gab.“ Als eindrückliches Beispiel führt Oettinger die Ukraine und die „grandiose Ingenieurleistung (auf), dass man mitten im Krieg die Integration ins europäische Stromnetz geschafft hat und es funktioniert.“ Trotz der russischen Angriffe, glaube er, „dass die Ukraine in diesem Krieg bezüglich Strom und Gas keinen grossen Schaden nehmen wird“. Trotzdem, so Nies, „sind die grossen Umspannwerke kaputt (..) und wir sehen in der Ukraine 500´000 10-MW-Dieselgeneratoren und das ganze Land stinkt nach Diesel“.

    Ohne Rahmenabkommen bleibt die Schweiz ohne Stromabkommen. Das gefährdet die Versorgungssicherheit und führt zu hohen Kosten. Das ausgehandelte und dann von Bern abgelehnte Rahmenabkommen sei, so Oettinger, eine Chance, ein Zeitfenster gewesen, „das Zeitfenster ist zu. Bis zu den europäischen Wahlen (Juni 2024) wird gar nichts mehr geschehen. (..) Mit gutem Willen könnte man 2025 ein Rahmenpaket mit einem Stromabkommen beschliessen. Besser spät als nie.“ Bis dann „Notlösungen, Übergangslösungen, kein effizientes Europa“. 

    • 41 min
    “Frau, Leben, Freiheit !” – Führt die iranische Protestbewegung in die politische Blockade oder steht das Land in einem revolutionären Umbruch? - mit Parastou Forouhar und Ali Fathollah-Nejad

    “Frau, Leben, Freiheit !” – Führt die iranische Protestbewegung in die politische Blockade oder steht das Land in einem revolutionären Umbruch? - mit Parastou Forouhar und Ali Fathollah-Nejad

    Mit der iranischen Künstlerin Parastou Forouhar und dem deutsch-iranischen Politologen Ali Fathollah-Nejad diskutiere ich über die iranische Protestbewegung. Seit dem 16. September, als die staatlichen Sicherheitskräfte die verhaftete Kurdin Mahsa Amini ermordet haben, lehnen sich im ganzen Land Menschen aus allen Schichten und Regionen - an vorderster Front Frauen, Jugendliche und Arbeiter - gegen das Regime auf. Trotz massiver Repression kommt das Land nicht zur Ruhe. Der Auslöser war die Verweigerung von Mahsa Amini und anderer Frauen, sich dem Kopftuchzwang zu unterwerfen, aber sehr rasch eskalierte der Konflikt zu einer grundsätzlichen Konfrontation mit der religiös begründeten Herrschaft des Regimes. Die geballte Wut der Bevölkerung gegen das Regime äusserte sich schon früher in grösseren Demonstrationen, die aber – im Gegensatz zu heute – rasch niedergeschlagen wurden. 

    Die Konfrontation hat sich zusehends verhärtet. Kaum jemand glaubt noch an eine Lösung innerhalb des Systems. Diese breite Desillusionierung führt aber kaum mehr zu Resignation, sondern - trotz brutaler Repression mit Hunderten Toten und Zehntausenden Verhafteten - zu einer Aufbruchstimmung mit Hoffnungen auf eine grundsätzliche Veränderung, auch wenn diese nicht absehbar ist. 

    Besonders unter jüngeren Menschen habe sich – so Parastou Forouhar – das Wertesystem verändert. Sie sahen sich lange gezwungen, in der Oeffentlichkeit die restriktiven Regeln des Staates des zu befolgen und fühlten sich dabei als Mittäter, weil sie sich nicht genügend gewehrt hätten. Dabei versuchten sie nur, in einer falschen Situation richtig zu leben, anständig, lebensbewahrend, um ihre menschliche Würde zu bewahren. Heute sind vor sie nicht mehr bereit, dieses Doppelleben, diese Doppelmoral mitzumachen. Sie rebellieren und versuchen, sich selbst zu sein. 

    Die Avantgarde der Bewegung sind die Frauen, die ihre Selbstbestimmung einfordern und mit dem verkrusteten Regime alter Männer kollidieren. Diese identifizieren sich nur noch mit der Vergangenheit und verweigern diese Selbstbestimmung. Dabei fällt der sexuelle Subtext der Konflikte auf, wenn auffallend attraktive junge Frauen ermordet werden und massive Vergewaltigungen zum Repressionsinstrument des Regimes geworden ist, das der toxischen Männlichkeit sexuell frustrierter Schlägertrupps freien Lauf lässt. 

    Die Positionen verhärten sich zusehends, die eine Seite zeige sich immer schöner, lebensbejahender, und die andere Seite benehme sich wie Untote, wie Zombies. „Ihre Zeit ist vorbei, die sind vorbei, aber sie haben es noch nicht kapiert und zehren von der Lebensenergie der anderen“. Als Beispiel führt Forouhar einen Widerstandskämpfer auf, der vor der Vollstreckung seines Todesurteils als seinen letzten Willen verlangte, dass die Menschen an seinem Grab Musik spielen und tanzen sollen – beides verboten - nur tanzen und glücklich sein, keine Korantexte! Die zentrale Parole der Bewegung: „Frau Leben Freiheit“ markiere eine absolute Abkehr vom Gottesstaat, lebensbejahend und säkular.

    Die Kluft ist irreversibel geworden, beide Seiten sind auf Kolisionskurs und das System bietet keinen Ausweg aus der Blockade. Den Konflikt bezeichnet Ali Fathollah-Nejad als einen langfristig revolutionären Prozess, der schon heute eine neue Qualität erreicht, weil er schichtübergreifend alle Regionen und ethnischen Minderheiten mobilisiere. Wirklich revolutionär würde er aber nur, wenn er sich – was nicht auszuschliessen sei - zu einer breiten Massenbewegung entwickle, wenn sich die Streiks ausdehnen und sich die Risse im Machtapparat vertiefen. Für das letzte sei die Haltung Europas wichtig, wenn zum Beispiel die EU die iranischen Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen würden, um das klare Signal zu setzen, dass das System keine Zukunft hat. Das iranische Regime habe sich immer nur dann bewegt, wenn der Druck immens war, von innen und von aussen durch harte Sanktione

    • 45 min
    „Kann nach Jahrzehnten von Krieg und Gewalt im Irak und in Algerien ein Weg zu innerer Stabilität und nationaler Verständigung gefunden werden.?“ – Mit Isabelle Werenfels und Daniel Gerlach

    „Kann nach Jahrzehnten von Krieg und Gewalt im Irak und in Algerien ein Weg zu innerer Stabilität und nationaler Verständigung gefunden werden.?“ – Mit Isabelle Werenfels und Daniel Gerlach

    Mit Isabelle Werenfels, der Nordafrikaspezialistin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, und Daniel Gerlach, dem Buchautor, Orientalisten und Filmproduzenten, diskutiere ich über beide Staaten in ihrer heutigen politischen Lage. Der Vergleich bietet sich – trotz geographischer Distanz – durch eine Reihe von Parallelen an: Beide sind mit einer Bevölkerung von je 43 Millionen gleich gross. Beide waren in den letzten Jahrzehnten Opfer von politischer Gewalt: Kriege, Bürgerkriege, Repression und Terrorismus haben in beiden Ländern wohl je über eine Million Todesopfer gefordert und haben damit die Gesellschaft zerrüttet: In Algerien durch den Unabhängigkeitskrieg 1954-62 und den Bürgerkrieg 1992-2002 - im Irak durch Saddams Angriffskrieg gegen den Iran, seine Repression gegen die Kurden und Schiiten, die verheerenden Folgen des UNO-Programms Oil for Food, durch den US-Angriffskrieg 2003 und den Terrorismus des IS-Staates 2014-2017. Dabei wurden beide Staaten durch den islamistischen Terror existentiell gefährdet: Algerien im Bürgerkrieg durch die islamistische „Front islamique du Salut“ (FIS), der Irak durch den „Islamischen Staat“, der erst 2017 von einer breiten nationalen Allianz mit amerikanischer und iranischer Unterstützung  besiegt werden konnte. 

    In beiden Staaten stützt sich die staatliche Macht auf die Streitkräfte,  auf die Armee in Algerien, auf die Milizen im Irak. Entscheidend sind aber die grossen Öl- und Gaseinnahmen, die es der Regierung, erlauben, Legitimation zu „kaufen“ und die Bevölkerung in direkter Abhängigkeit vom Staat zu halten. Gegen diese Machtausübung mobilisierte sich 2019 in beiden Staaten eine breite zivilgesellschaftliche Protestbewegung: In Algerien stoppte die Hirak-Bewegung die fünfte Präsidentschaft des greisen Bouteflika. Im Irak richtete sich die breite Tishreen-Mobilisierung gegen die ganze politische Klasse und ihre Korruption und überschritt damit die religiös und ethnisch bestimmten Grenzlinien der irakischen Politik. Trotzdem erreichte die „Strasse“ dadurch keine grundlegenden Reformen. In Algerien behaupten sich die Machtstrukturen von Armee und Bürokratie, kooptierten die Opponenten ins System und schwächten die zivilgesellschaftlichen Kräfte. Im Irak setzt sich die Auseinandersetzung zumindest in einem einigermaßen demokratischen aber nach wie vor fragilen System fort. 

    Die Iraker sind heute, auch in der Folge des russischen Angriffskriegs, darum bemüht, die ausländische Einmischung abzuwehren. Das sei aber nur möglich, so Daniel Gerlach, „wenn sie  ihre gesellschaftlichen Konflikte  überwinden können, dann sind sie auch wieder in der Lage, Souveränität zu erlangen. (..) Viele Iraker fühlen sich so, als wären sie eigentlich noch ein besetztes Land“.  Algerien hingegen, so Isabelle Werenfels, knüpfe nach der internationalen Isolation der letzten Jahre an seine Tradition der blockfreien Nähe zur Sowjetunion an, versuche heute, international wieder „ein Player zu sein“ und verfolge seine blockfreie Haltung mit einem Antrag, „den BRIC-Staaten“ (Brasilien, Russland, Indien, China) beizutreten. „Gleichzeitig war dieser Krieg für die Algerier auch ein Erwachen“ bezüglich der Qualität russischer Waffen, die den Hauptteil der algerischen Rüstung ausmache. Sie wollen „ihre Unabhängigkeit stärken, in dem sie in alle Richtungen spielen, aber immer“ mit der Ansage „wir schwimmen gegen den westlichen Strom“. Trotzdem habe sie, „in keinem Land, wo ich gewesen bin, so viele Sympathien für Russland erlebt, wie in Algerien (..) Gleichzeitig wollen alle nach Frankreich“. 

    • 51 min
    “Was ist das konservative Projekt für ein modernes Deutschland?” – mit Armin Laschet und Ursula Münch

    “Was ist das konservative Projekt für ein modernes Deutschland?” – mit Armin Laschet und Ursula Münch

    Mit dem CDU-Kanzlerkandidaten von 2021 und früheren NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet und Frau Prof. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing diskutiere ich über das Selbstverständnis der CDU in der Opposition.

    Auf die Frage, was hätte Armin Laschet als Bundeskanzler besser gemacht, antwortet er: „Ich wäre in vielem, was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, ähnlich zurückhaltend wie Olaf Scholz (..), ich würde (jedoch) das Ganze europäischer anlegen, ich würde mehr und enger mit Frankreich zusammenarbeiten (..), aber die Grundrichtung findet im Moment einen Konsens auch über die reine Regierung hinaus“. Hingegen bezüglich anderer Bereiche, so Ursula Münch, hätte „man sicherlich Unterschiede feststellen können, bei gesellschaftspolitischen Themen“: Gleichstellung, Minderheiten, Abtreibung und Migration, „da wären die Konflikte wesentlich stärker gewesen“, vor allem innerhalb der relativ heterogenen CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. 

    Zu einem neuen konservative Grundsatzprogramm der CDU stellt Laschet richtig: Die CDU sei " keine konservative Partei. Konrad Adenauer hat das Wort immer gemieden.(..) und von  Christdemokraten gesprochen.“ Dieser weitere Blick werde „vom christlichen Menschenbild abgeleitet. Das Grundsatzprogramm muss das jetzt in die neue Zeit übersetzen (und) aus den Grundwerten heraus konkrete Politik ableiten.“ Dagegen fragt sich Münch, „ ob für eine Partei wie die CDU der grosse Wurf eines Grundsatzprogramms überhaupt erforderlich ist, die CDU ist keine Programmpartei.“ - Dazu Laschet : „Wir leben in einer Zeit, in der auch die andern pragmatische Antworten geben müssen. Das was jetzt gerade passiert, hat mit dem, was im Bundestagsprogramm von SPD und Grünen steht, nichts mehr zu tun, gar nichts. Es wird in diesem Jahr mehr Kohle verbrannt, als je zuvor, mit einer grünen Regierungsbeteiligung“. 

    Steuert die CDU eher nach rechts oder eher in die Mitte? Laschet unterstreicht, „dass Wahlen in der MItte gewonnen werden und die CDU eine Partei der Mitte bleiben muss". -  Für Münch stellt sich die Frage auch bezüglich der AfD: „Überlasst man Positionen rechts der Mitte extremistischen Parteien, das ist nicht nur für die Union eine wichtige Frage, sondern für die ganz Bundesrepublik. (..) Interessant wird es nächstes Jahr mit Blick auf die Landtagswahlen in einigen ostdeutschen Ländern, wo dann auch in CDU-Ländesverbänden sicherlich Positionen geäußert werden, womöglich zu einer künftigen Tolerierung der AfD und da wird die CDU-Spitze gefordert werden“.

    Hat die CDU ein Frauenproblem? „Ja, das stimmt“, räumt Laschet ein, „die CDU-Fraktion hat zu wenig Frauen (..) Es muss insgesamt das Gefühl geben, ja, auch in dieser Partei haben Frauen ihren Platz und das ist bei uns zu wenig zu spüren und deshalb brauchen wir im Moment noch Quoten“. Das Problem stelle sich, so Münch, „wer ist im Moment in der CDU sichtbar, eine Frau? Da ist tatsächlich wenig vorhanden.(..) Die Frauen (..) wollen eine attraktive Partei, wo sie sich nicht entschuldigen müssen, dass sie für die CDU Sympathien hegen, die aber als ewig gestrige Partei gilt. Und diesen Brückenschlag zu treffen (..), das ist der CDU noch nicht so ganz gelungen.“

    Zur Gretchenfrage, wie haben Sie es mit dem lieben Gott und dem hohen C im Parteinamen? „Das ist wirklich“, so Laschet „Wesenskern der Union, Markenkern, dass man Politik aus dem christlichen Menschenbild macht.(..) Das heisst, du siehst den Menschen als Person, er ist Individuum und soziales Wesen zugleich. Das ist der Unterschied zu allen andern Parteien. Christliches Menschenbild in der Form der sozialen Marktwirtschaft verbindet das“.-  „Was ich aber vermisse“, so Münch, „ist dann ein selbstbewusstes Dazu-Stehen und es dann auch immer wieder begründen. Da würde ich der CDU einen souveräneren Umgang damit raten, um dann sichtbar zu machen, wo ist da der

    • 46 min
    „Auschwitz liegt auch in der Schweiz“ – mit Jacques Picard und Dina Wyler

    „Auschwitz liegt auch in der Schweiz“ – mit Jacques Picard und Dina Wyler

    „Auschwitz liegt nicht in der Schweiz“ sagte Bundespräsident Delamuraz 1996 zur Abwehr jüdischer Forderungen im Zusammenhang der „nachrichtenlosen Vermögen“ von Opfern der Shoa auf Schweizer Banken. Über die schweizerischen Verwicklungen mit den NS-Verbrechen und das diesbezügliche Verdrängen und Erinnern diskutiere ich mit Prof. Jacques Picard, Präsident der Stiftung jüdische Zeitgeschichte der ETH-Zürich und Dina Wyler, ehem. Leiterin der Stiftung gegen Antisemitismus und Rassismus.

    In der NS-Zeit wurde vielleicht 15'000 Juden und Jüdinnen die Zuflucht in die Schweiz verweigert. Gemäß Picard war „tatsächlich diese Abweisungspolitik auch antisemitisch eingegeben (..) Zumindest bei einem Teil der Behörden war der Jude der unerwünschte Ausländer, mit dem man gleichzeitig und vorgeblich auch das nationalsozialistische Gedankengut an der Grenze abhalten und wegstellen konnte. Also indem man vermied, Juden aufzunehmen, sagte man, vermeiden wir eben auch, dass eine Judenfrage auch in der Schweiz entsteht, (..) was dann vordergründig ausgegeben werden konnte als eine Ablehnung des nationalsozialistischen Gedankenguts.“ Trotzdem fanden während der NS-Zeit insgesamt vielleicht 30‘000 Juden und Jüdinnen Zuflucht in der Schweiz. „Die schweizerische Flüchtlingspolitik gegenüber den Juden“ sei aber, so Picard, kaum „von der Schweiz finanziert worden, sondern von den Schweizer Juden mit Hilfe von Spenden amerikanischer Juden", die eigentlich weitgehend die jüdischen Flüchtlinge in der Schweiz über Wasser gehalten hätten.

    Zum Verdrängen dieser Verwicklung verweist Picard auf Churchill, der kurz nach Kriegsende vom „segensreichen Akt des Vergessens“ sprach. „Das bewusste Vergessen war paradigmatisch dem Zeitgeist geschuldet. Und dass wir uns heute dem Paradigma des Erinnerns und Gedenkens zuwenden, ist eine Entwicklung (..) so ab den 80-er und 90-er Jahren.“ In dieser Entwicklung gebe es, so Dina Wyler jedoch „keine Kontinuitäten, sondern Konjunkturen (..). Man macht zwei Schritte noch vorne und einen zurück.“ Wobei „der Druck für das Erinnern oftmals aus dem Ausland kam, Stichwort ‚Nachrichtenlose Vermögen‘“.

    Die Frage vergessen oder erinnern macht Dina Wyler daran fest, „von wem sprechen wir? Wenn wir über die Betroffenen reden, da war zuerst einmal Vergessen eine Überlebensstrategie. (..) Was jetzt passiert, ist vor allem, dass die dritte Generation beginnt, Fragen zur stellen, weil sie den nötigen Abstand hat, eben nicht zu vergessen, und damit erinnern kann, was den Grosseltern, Urgrosseltern passiert ist.“ Die eigentliche Verantwortung für das Erinnern liege aber nicht bei den Betroffenen, sondern bei der Gesamtgesellschaft, vor allem heute, wo kaum mehr Zeitzeugen leben.

    Zum „Doppelbegriff von Holocaust und Shoa“, erklärt Picard: „Der Holocaustbegriff ist (..) eigentlich ein Sakralbegriff, er bedeutet Brandopfer. Damit wird eine quasi religiöse Überhöhung des Opfergedankens mitimpliziert, das ist natürlich hochambivalent, während Shoa (..) ganz einfach die Katastrophe, Vernichtung“ bedeute. Ob in diesem Zusammenhang über den Mord an Menschen, anstatt über den Mord an Juden gesprochen werden soll, widerspricht Picard entschieden, weil „die Universalisierung des Gedenkens an den Mord über das Wort Menschen und Menschentum letztlich auch die Gefahr in sich birgt, dass man die Juden zum Verschwinden bringt im Gedenken.“
    Bezüglich der Chancen für das Erinnern in der Zukunft sind beide optimistisch, Jacques Picard, „weil die dritte und auch schon die vierte Generation, und zwar nicht nur Opfer-seitig, sondern auch Täter-seitig, in einer Art darüber sprechen, wo man gut annehmen kann, dass Erinnern und Gedenken für sie zur Normalität des Lebens gehören.“ Für Dina Wyler sei es nebst dem Erinnern an die Ermordeten „persönlich immer ganz wichtig zu betonen (..) : Es gibt auch lebendige Juden und Jüdinnen. Wir sind hier, wir

    • 45 min
    “Die verkannte Bedeutung des Dualen Bildungssystems für den wirtschaftlichen Erfolg” – mit Ursula Renold und Rudolf Strahm

    “Die verkannte Bedeutung des Dualen Bildungssystems für den wirtschaftlichen Erfolg” – mit Ursula Renold und Rudolf Strahm

    Die Schweiz nimmt im internationalen Vergleich stets wirtschaftliche Spitzenplätze ein. Dabei verdankt sie ihre Innovationsfähigkeit, ihr Wirtschaftswachstum und ihre tiefe Arbeitslosigkeit vor allem dem dualen Bildungssystem. Warum verkennen wir dessen Bedeutung? Darüber diskutiere ich mit Ursula Renold, Professorin für Bildungssysteme an der ETH Zürich und ehemalige Staatssekretärin für Berufsbildung und Technologie und Rudolf Strahm, ehemaliger Nationalrat, Preisüberwacher und langjähriger Lehrbeauftragter für die Ausbildung von BerufsberaterInnen.

    Aus drei Gründen, so Ruedi Strahm sei “die Berufslehre (..) ein Erfolgsmodell: Erstens ist die Berufslehre eine Art Armutsverhinderungsvehikel (..) Die Berufsbildungsländer, nicht nur die Schweiz auch Deutschland, Österreich, Holland und Dänemark haben eine markant tiefere Jugendarbeitslosigkeit.” Zweitens sei sie “ein Vehikel für höhere Arbeitsproduktivität (..) Die Berufsbildungsländer haben bedeutend höhere Löhne”. Und drittens, “ist die Berufslehre mitverantwortlich für die hohe Innovation, weil die Berufsbildung wichtig ist, Innovationen rasch zu verbreiten”. Als Beispiel führt Strahm die Herstellung von medizinischen Implantaten und Prothesen auf, wo die Schweiz weltweit führend sei. Der Erfolg beruhe auf der engen “Zusammenarbeit von Chirurgen und Mechanikern (..) auf Augenhöhe”. Die Mechaniker seien in den Operationssaal und der Chirurg in die Werkstatt gekommen und zusammen hätten sie “mit neuen Formen und neuen Materialien (..) getüftelt”. Ursula Renold bestätigt diese Zusammenhänge. Ihrer Untersuchungen beweisen, dass eine hohe Innovationsleistung auf dem “Zusammenspiel” von Berufspraktikern, den “Tüftlern”, mit theoretischen Hightechkompetenzen beruhe. Die Firma Logitech habe so weltweit die ersten Computermäuse entwickelt.

    Doch was sind die Hindernisse für die  gesellschaftliche Anerkennung der Berufsbildung?  Beide Gesprächspartner weisen auf den grossen Einfluss der akademisch orientierten französischen und britischen Bildungsideologie auf die OECD und damit auf die internationalen Vergleiche “des schulisch cognitive Wissens” hin.  Bis 2001, so Strahm, habe “die OECD die schweizerische Berufslehre gar nicht anerkannt.” Diese Ideologie sei in den 70er-Jahren vor allem von Daniel Bells Theorie der “Knowledge Society” geprägt worden. Die “praktische Intelligenz”, die “soft skills” gerieten dadurch, so Strahm, ins Hintertreffen: “Exaktheit, Zuverlässigkeit, Termintreue, Verantwortungsbewusstsein etc.”. Diese, so Renold “bekommen eine immer grösser Bedeutung (..), weil wir uns in einer hochgradigen Veränderung befinden, die von der digitalen Tansformation herstammt.” Dafür seien “heute die Schule zu langsam und die Universitäten erst recht.” Der Fachkräftemangel, so Strahm, äußere sich “heute vor allem im Bereich der Leute mit höherer Berufsbildung”.

    In der Frage, ob fehlende mit dem universitären Bachelor vergleichbare Titel ein Prestigeproblem für die Berufsbildung seien, besteht keine Einigkeit: Während Strahm sich klar “aus der Sicht der Berufsberater” für den “Professional Bachelor” ausspricht, warnt Renold vor einer Titelinflation. Das Prestige der Berufsausbildung sei auch durch den europäischen Qualifikationsrahmen gewährleistet. 

    Auf die Frage, ob sich das Berufsbildungssystem auf andere Gesellschaften mit anderen Traditionen übertragen lasse, antwortet Renold: “Nein, das geht nicht”. Was aber helfe, seien die Resultate der Erforschung der eigenen Erfahrungen. Wichtig sei vor allem  der politische Willen der Eliten. In China werde Berufsbildung, so Strahm “einfach diktiert von oben (..): Jede Firma muss ausbilden”.

    Für die weitere Entwicklung der Berufsbildungsländer sind Renold und Strahm zuversichtlich, in Deutschland jedoch, so Strahm, erhalte “die Berufslehre nach und nach ein soziales Stigma”. 

    • 48 min

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