Tim Guldimann - Debatte zu Dritt

Tim Guldimann

Der Podcast von Tim Guldimann nimmt aus Politik und Gesellschaft relevante Fragen auf, die über die Tagesaktualität hinausgehen. Die prominenten Gesprächspartner – jeweils eine Frau und ein Mann – sind selbst im Themenbereich aktiv tätig. Monatlich werden laufend zwei neue Debatten aufgenommen. Tim Guldimann leitete Friedensmissionen im Kaukasus und Balkan, war Schweizerischer Botschafter in Teheran und Berlin und war danach bis 2018 Schweizerischer Parlamentsabgeordneter.

  1. 6D AGO

    "Haben die Grünen Zukunft und wie stehen sie zur Wehrpflicht und zum Schutz von Rechtsstaat und Demokratie?" – mit Anja Hajduk und Robert Pausch

    Darüber diskutiere ich mit Anja Hajduk, langjährige Bundestagsabgeordnete und von 2021 bis 2025 als Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, quasi als rechte Hand von Robert Habeck, sowie mit Robert Pausch, Autor bei der ZEIT.  Anja Hajduk sieht im Ende der Ampel eine tiefe Bruchstelle: „Wenn eine Regierung vorzeitig zerbricht, ist das nicht der Normalfall. Das ist ein ganz besonderes Scheitern. (..) Die Regierung ist zerbrochen und dieses Zerbrechen hat zur grossen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. (..) Eine Regierung muss das Ziel haben, gemeinsam mit der Unterschiedlichkeit der Partner Erfolg haben zu wollen. Und das ist etwas, was im Laufe der Ampel verloren gegangen ist. Und das gillt für alle drei Partner. Und deswegen müssen die Grünen (..) analysieren (..) was haben wir selber zu dem Spiel beigetragen“.  Zu aktuellen Themen räumt Haiduk ein: „Es ist ein bisschen verpasst worden, das Thema: Wie stellen wir uns zur Wehrpflicht, wie stellen wir uns zu einem Pflichtjahr über alle Altersgruppen hinweg? […] Das ist eine Frage, wo es eine hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit im Moment gibt.“  Robert Pausch beschreibt, warum gerade dieses Thema so explosiv ist: „Es ist eines der Themen, auf dem gerade politische Energie drauf ist und irgendeine Art von Mobilisierungsfähigkeit, die aber bisher komplett vorbeiläuft an den Grünen […] nämlich irgendwie die Frage: Muss ich da jetzt auch an die Waffe?“  Hajduk entwirft den breiteren Rahmen: „Die ganz große Frage, die wir haben, ist nicht auf das Spektrum der Mitteparteien gerichtet, sondern die große Auseinandersetzung findet statt zwischen demokratischen Parteien, zwischen Demokratie und Autokratie.“ Und sie warnt vor zu viel Vorsicht: „Man muss schon mutig an die Gesellschaft herantreten. Ich glaube, dass die Gesellschaft eher ein bisschen die Nase voll hat, wenn sie so vorsichtige Antworten spürt, als wenn man etwas vor ihnen verheimlichen müsste.“  Die ganze Debatte hört ihr im Podcast 🎧 Wie seht ihr das: Braucht es von den Grünen eine klarere Haltung zur Wehrpflicht und wie könnte sie beitragen, Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat zu stärken?

    50 min
  2. NOV 13

    “Is Europe ready to defend itself against Russian aggression?” - with Nicole Deitelhoff and Ben Hodges

    Liegt in der russischen Aggression eine Kriegsgefahr für Europa? Die Welt steht in Flammen und ich frage den ehemaligen Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa, Ben Hodges und die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff: Ist Europa gerüstet? – Die Debatte führt am Ende zu einer überraschend optimistischen Einschätzung.  Was halten der ehemalige US-General und die Leiterin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung von der Solidarität innerhalb der NATO, ihrer Widerstandskraft und der Verlässlichkeit der transatlantischen Allianz? Was will Putin mit dem Krieg in der Ukraine eigentlich erreichen mit seinem Versuch die NATO zu provozieren und zu spalten?  Nicole Deitelhoff meint: „Wir sind in einer Nicht-Friedensphase, aber nicht in einer Vor-Kriegsphase.“ Für sie steckt hinter Putins Strategie: „It is not about waging war against Western Europe. It is about getting Europe away from Ukraine’s side.” Und Ben Hodges ist überzeugt: „Putin fears not NATO armies or forces on his border. What he fears is an Ukraine that is liberal, democratic, free, prosperous.“  Am Ende geht es um ‘German Leadership‘ in Europa. Gegen den verbreiteten Alarmismus und die Selbstzweifel zeichnet Hodges ein anderes Bild von Sicherheit: kooperativ und europäisch. Der ehemalige US-Armee General sieht in der deutschen Zurückhaltung Pragmatismus und Stärke: „ I think Germany is leading by doing.“ Die Debatte ist diesmal in Englisch, hört trotzdem rein und vielleicht teilt Ihr den Optimismus.

    44 min
  3. OCT 17

    „Soll das Bundesverfassungsgericht die AfD verbieten?" - mit Gertrude Lübbe-Wolff und Norbert Lammert

    Kann das Bundesverfassungsgericht neutral bleiben, wenn das Land sich spaltet? In anderen Staaten – in den USA, in Ungarn, Italien und zuvor in Polen - versucht der Rechtspopulismus, die Gerichte unter seine Kontrolle zu bringen. Die Frage kann sich auch in Deutschland stellen. Soll die AfD verboten werden und was bedeutet das für die Demokratie? Wie politisch ist das Bundesverfassungsgericht? Es steht nach der Nicht-Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf als Richterin im Zentrum einer Debatte über Macht, Verantwortung und Vertrauen. Dabei geht es generell  um das Verhältnis zwischen Politik und richterlicher Gewalt in Zeiten, wo Demokratie und Rechtsstaat nicht mehr selbstverständlich sind. Ich spreche mit Gertrude Lübbe-Wolff, ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht, und Norbert Lammert, langjähriger Bundestagsabgeordneter und während 12 Jahren Bundestagspräsident. Gemeinsam diskutieren wir, wie unabhängig das Gericht wirklich ist, wie Richterinnen und Richter in Karlsruhe gewählt werden und welchen politischen Einfluss es hat. Soll das Gericht die AfD verbieten? - Norbert Lammert warnt: „Das Verbotsverfahren gegen die AfD wäre ein politischer und juristischer Höllenritt.“ - Gertrude Lübbe-Wolff hält ein Parteiverbot ebenfalls für problematisch. Sie befürwortet es aber, gegen extremistische Parteifunktionäre das im Grundgesetz vorgesehene Instrument der Grundrechtsverwirkung zu nutzen. Eine Debatte über Vertrauen in Institutionen, über die Grenzen richterlicher Macht und über die Frage, wie weit Karlsruhe gehen darf, wenn die Demokratie sich selbst verteidigen muss.

    45 min
  4. OCT 3

    „Die Bilder von Bührle & Gurlitt – Wie sollen Museen mit Raub und Fluchtkunst umgehen, die von Shoa-Verbrechen belastet sind? – mit Ann Demeester und Guido Magnaguagno

    Raubkunst ist kein Thema der Vergangenheit, sondern bleibt eine offene Wunde. Wie sollen Museen mit Bildern umgehen, die durch nationalsozialistische Verbrechen belastet sind? Darüber spreche ich mit der Direktorin des Kunsthauses Zürich Ann Demeester und mit Guido Magnaguagno, Kunsthistoriker und Kurator. Es geht um Raubkunst, Fluchtgut und die Frage der historischen Verantwortung. Emil Bührle hat als Waffenfabrikant während des Zweiten Weltkriegs ein Vermögen gemacht und damit seine Kunstsammlung finanziert, die heute in Zürich ausgestellt wird. - Cornelius Gurlitt war der Sohn eines Kunsthändlers im Dritten Reich, der nach 2012 weltbekannt wurde durch den spektakulären Fund seiner großen Sammlung von zum Teil Raub- und Fluchtkunst. Er hat diese Sammlung dem Kunstmuseum Bern vermachte. „Juristisch ist vieles verjährt, heute geht es nur noch um Moral und Ethik“, sagt Magnaguagno und zitiert den Schriftsteller Lukas Bärfuss: „Die Schweiz war und ist immer sehr gut in Erledigungskultur, aber nicht in Erinnerungskultur“. Demeester macht klar: “Geschichte ist nie zu Ende, wir können nicht einfach sagen: jetzt ist Schluss.“  Es geht um das Verhältnis zwischen Recht und Moral, um die Rolle der Schweizer Eliten im Zweiten Weltkrieg und um die Frage, ob Kunst jemals frei von ihrer Geschichte gezeigt werden kann.  Ein technisches Problem 😢 : Der Ton von Ann Demeester ist schlecht, sorry, das Thema aber zu wichtig, um zu schweigen.  Deshalb habe ich den schriftlichen Text der Debatte hier zugänglich gemacht. 🎧 Hör jetzt rein und bilde dir deine eigene Meinung

    35 min
  5. SEP 18

    „Binnenmarkt: Nach 20 Jahren europapolitischem Palaver muss die Schweiz entscheiden“ – mit Christa Tobler, Professorin für Europarecht, und dem Historiker und Verleger Markus Somm

    🇨🇭1992 verweigerte die Schweiz die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und sicherte sich danach den Zugang zum Binnenmarkt mit bilateralen Verträgen in zwei Abkommenspaketen (1999 die Bilateralen I und 2004 die Bilateralen II). 🇨🇭Heute ist der Bilateralismus am Ende, der Status quo ist nicht mehr im Angebot. Entweder stimmt die Schweiz nach jahrelangen Diskussionen dem endlich ausgehandelten Vertragspaket Schweiz-EU zu oder die bestehenden Verträge erodieren; entweder entscheidet sich das Land für eine umfassende vertragliche Zusammenarbeit mit der EU oder für eine Zukunft im strikt souveränen Alleingang der Abschottung.  🇨🇭Es ist ein Grundsatzentscheid, der dem Land mit seiner Kompromisskultur schwerfällt. Und weil sachliche Argumente kaum noch verfangen, geht es am Schluss wohl nur noch um Emotionen und Gefühle nationaler Identität.  Mit Christa Tobler (Professorin für Europarecht, Basel/Leiden) und Markus Somm (Historiker & Verleger, Chefredaktor des Nebelspalters) führe ich darüber eine heftige Debatte. 👉 Somm warnt: „Es ist nicht demokratisch, wenn wir einen Teil unserer Gesetzgebung einem anderen Staatenbund übergeben und Gesetze übernehmen, die wir nicht selbst beschlossen haben.“ 👉 Tobler hält dagegen: „Es ist völlig demokratisch, wenn wir demokratisch beschließen, dass wir zu unserem Vorteil an einem System mitmachen. Wir sind von EU-Staaten umgeben, eine Zusammenarbeit ist unverzichtbar.“

    52 min
  6. AUG 5

    «Entsteht unter den 4 Mio. Menschen mit post-sowjetischem Migrationshintergrund eine Opposition gegen Moskau oder Putins 5. Kolonne oder später einmal ein Brückenkopf für eine neue Verständigung mit Russland?» - mit Ira Peter und Michael Thumann

    Gibt es eine gemeinsame Identität post-sowjetischer Migranten ? – Die Russlanddeutsche Ira Peter: «Also ein Wir-Gefühl gibt es nicht, weil diese Menschen so wahnsinnig heterogen sind und so unterschiedliche Geschichten mitgebracht haben. Selbst die 2,5 Millionen Russlanddeutsche sind vollkommen heterogen». – Der Moskau-Korrespondent der ZEIT Michael Thumann: «ich würde auch hinter die Gemeinschaft der Russisch-Sprachigen und der vermeintllich russischen Welt in Deutschland ein grosses Fragezeichen setzen. (..) Wenn wir das mit den Zuwanderern aus der Türkei vergleichen, liegt der Fall halt ganz anders.»  Gibt es eine Gemeinsamkeit aufgrund der Sprache? – Peter: «Zum Russischen haben ältere Deutsche aus der Sowjetunion keine gute Einstellung. Das ist die Sprache der Unterdrücker gewesen.(..) Die allermeisten sind ja Anfangs der Neunziger gekommen, vor über 30 Jahren. Mein Russisch ist natürlich verkümmert. Ich wollte möglichst unauffällig sein, so wie die Christians und die Melanies in meiner Schulklasse. (..) Russisch ist auch nicht Familiensprache. Familiensprache war bei uns immer das Deutsche.»  Spüren Russlanddeutsche eine Gemeinsamtkeit mit den Russen, die in den letzten Jahren hierhergekommen sind?» - Peter: «Wenig». - Thumann berichtet von den sehr vielen politischen Emigranten, "der letzten grossen Emigrationswelle. Ich würde von Tausenden, vielleicht auch von einer fünfstelligen Zahl sprechen, die jetzt vor allem in Berlin leben. (..) Berlin entwickelt sich tatsächlich zu einem Zentrum der politischen» Emigranten,  «wobei sie natürlich sehr gerne nach Moskau zurückkehren würden. (..) Das intellektuelle Moskau, das ich in früheren Jahren dort kennengelernt habe, (hat sich) kollektiv in Berlin versammelt,(..) eine politische Opposition in Deutschland gegen das Putin-Regime. (..) Die Opposition, wenn sie mal eine Veranstaltung haben, will (sich) immer sehr gerne in Berlin (treffen), weil sie wissen, dass sie da auch die kritische Masse von politisch Aufgeweckten und Emigranten haben. (..) Wenn man einmal fragt, wo ist denn eigentlich Opposition, dann ist diese in Moskau überhaupt nicht mehr sichtbar. (..) Hörbar und sichtbar ist sie heute in Berlin». Peter: «Die, die in den neunziger gekommen sind, sind relativ apolitisch. Das trifft vor allem auf die Russlanddeutschen zu. (..) Das ist auch ein sowjetisches Erbe, weil man sich aus der sowjetischen Politik rausgehalten hatte. (..) Ein Teil der Russlanddeutschen, (… entscheidet) sich für die rechtsextreme Partei (AfD). (..) Die Ansprache aus dem Kreml (richtet) sich gezielt auch an postsowjetische Eingewanderte in Deutschland (..) und bedient Kränkungserfahrungen», wie «die nicht anerkannten Bildungsabschlüsse». - Ist das damit ein Rekrutierungsfeld für Putins Fünfte Kolonne? – Peter: «Mit Sicherheit». – Thumann: Moskau «überlegt sich ganz genau, wo für welchen Zweck man Leute einsetzen kann. Das sind die Fälle, die auch in der Bundeswehr aufgedeckt wurden.» Könnte aus diesem post-sowjetischen Umfeld einmal ein Brückenkopf entstehen für eine mögliche politische Verständigung mit Russland. – Peter: «ich glaube, die Russlanddeutschen sind da raus, sie sind ja nicht mal richtig Brückenbauer zu Kasachstan.» - Thumann: «Es gibt eine Gruppe, die dann ganz sicher in Frage kommt als Brückenbauer, das ist die erwähnte politische Opposition, das sind die Moskauer Intellektuellen, wenn die zurückkehrten. (..) Putin hat das meiste dafür getan, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland verbrannt wurden: (..) Die ganz vielen kleinen Brücken, (..) die Vernetzung der Gesellschaften, die wir mit Russland so weit vorangetrieben hatten, wie mit keinem anderen Land dieser Welt. (..) Das ist eine ganz grosse Tragödie. (..) Da könnte ich mir wiederum vorstellen, dass Russisch-Sprachige in Deutschland da eine Rolle spielen.(..) Das wird ein sehr schwerer Weg. Ich befürchte auch, dieser Reichtum wird sich nicht wieder herstellen lassen.»

    49 min
  7. JUL 15

    «Trittbrettfahren oder Partnerschaft ? – Wie verteidigt sich die Schweiz, als neutraler Igel oder in europäischer Kooperation?» - mit Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger und Botschafter aD Daniel Woker

    Andrea Gmür-Schönenberger stellt fest, «dass die Sicherheit der Schweiz nicht mehr gewährleistet ist. (..) Da sehe ich ein grosses Problem vor allem beim Gesamtbundesrat, der bis heute die Notwendigkeit nicht sieht, mit einer massiven Aufrüstung endlich aktiv zu werden. (..) Internationale Kooperation ist für mich in jeder Sparte zwingend notwendig.» - Daniel Woker: «Das Bewusstsein ist nicht vorhanden, vor allem bei unserer Regierung. (..) Wir sind nicht Mitglied der EU, wir sind nicht Mitglied der NATO. Damit fehlen unseren sieben Ministern das ständige ‘Give-and-take‘ internationaler Beratungen.» - Gmür: «Ich befürchte wirklich, bei uns in der Schweiz muss eine Bombe einschlagen, bis wir realisieren, dass die Zeit dieser Unbescholtenheit, die Zeit, wo uns gar nichts angehen musste, wo wir in keiner Art und Weise gefährdet waren, dass diese Zeit längst vorbei ist.» Gmür berichtet aus ihren parlamentarischen Kontakten im NATO-Kontext: «Was die Anerkennung der Neutralität im Ausland anbelangt (..), da haben wir immer wieder die gleiche Antwort gehört: Wir akzeptieren eure Neutralität, wir verstehen sie aber nicht. (..) Was unsere internationale Kooperation anbelangt: Grundsätzlich, was auch vorliegt, so rasch wie möglich: Gemeinsame Übungen unbedingt, gemeinsame Beschaffung, (..) wir loten weitere Möglichkeiten aus, die European Skyshield Initiative.» Aber eine Annahme der rechtspopulistischen Initiative, die Neutralität restriktiv in der Verfassung festzuschreiben, würde wohl den Ausbau einer Zusammenarbeit mit der NATO stoppen. Gmür war im Ständerat für den Gegenvorschlag, der gleichzeitig zur Abstimmung kommen soll, aber ebenfalls, bei einer Annahme, diesen Ausbau belasten würde. Das war ein innenpolitischer «Kompromiss», sagt Gmür, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern, weil sonst angesichts der grossen Zustimmung zur Neutralität die Gegner der Initiative leicht als «Neutralitätsgegner» diffamiert werden könnten. Während die 32 NATO-Staaten Ende Juni eine massive Aufrüstung auf 5% des BIP (3,5% rein militärisch, 1,5% Infrastruktur) bis 2035 beschlossen haben, will die Schweiz ihre Militärausgaben bis 2032 von 0,7 auf 1% BIP erhöhen (berechnet nach vergleichbaren Kriterien wäre das etwa ein Drittel höher). Setzen wir uns damit einem gefährlichen Konflikt mit dem Ausland aus? Könnte sich die Schweiz für die Sicherheit nicht stärker verschulden? - Gmür: «Das Problem ist einfach, bisher wurde nichts mehrheitsfähig. Ich bin sogar dankbar, wenn der Druck vom Ausland auf unsere Bundespräsidentin steigt, die gleichzeitig Finanzministerin ist. Für mich müsste in der jetzigen Situation ganz klar die Sicherheit und nicht die Finanzen müssten priorisiert werden. (..) Bei uns geht’s immer nur ums Geld.(..) Das macht mir Angst. (..) Ich hoffe, dass es internationaler Druck ist und nicht, dass der Krieg noch weiter eskaliert und der Druck vom Krieg selber kommt.»  Trotzdem stellte Gmür bei der letzten Sitzung der parlamentarischen Versammlung der NATO fest, dass sich zwar «das Narrativ» zugunsten einer substanziellen Aufrüstung geändert hat, aber einen Druck «auf die Schweiz habe ich keinen gespürt, wir sind nett zugelassen, haben aber auch nichts zu sagen». – Woker: »Das kann sich ein Staat einfach nicht leisten», im Rahmen der bilateralen Beziehungen zur EU «werden wir es hören, und zwar sehr schnell, wenn die (EU-Staaten) mal auf 3,5 oder 5% gehen müssen, kommt das dann sehr schnell (..): So geht’s nicht mehr weiter, liebe Schweizer.»

    45 min
  8. JUL 1

    Rechtsstaat im Nahen Osten und Nordafrika: Garantiert eine Verfassung Stabilität? – mit Dr. Anja Schoeller-Schletter und Dr. Naseef Naeem

    Wenn Kriege und Krisen Regionen erschüttern glauben wir an Demokratie und Rechtsstaat, um Frieden zu schaffen. Die Mittel dafür sind Wahlen und eine Verfassung. Wie soll das funktionieren? Welche Probleme stellen sich? Anja Schoeller-Schletter, ehemalige Leiterin des Rechtsstaatsprogramms Naher Osten und Nordafrika der Konrad Adenauer Stiftung: «Das Erstaunliche ist, dass es immer wieder um ähnliche Fragen geht (..). Es geht im Wesentlichen um die Begrenzung von Machtfülle und Gewaltenkontrolle und um Checks und Balances. (..) Die echten Schwierigkeiten sehen wir immer dann, wenn Kontrollmechanismen ausgehebelt werden.» Gibt es in den Gesellschaften der Region ein Bewusstsein von der Bedeutung der Verfassung? Der deutsch-syrischer Verfassungsexperte Naseef Naeem: «Die Verfassungsdiskussion in Syrien unterscheidet sich nicht von allen anderen Verfassungsdiskussionen (..). Dabei geht es nach dem Regime-Change in Syrien um die Stabilisierung der Staatsstrukturen (..), dass die Institutionen funktionsfähig werden. (..) Ich spüre ein Engagement für Rechtsstaatlichkeit (..), dass wir endlich mal ein Rechtssystem haben, nicht wie unter dem alten Regime. (..) Jeder will, dass dieser Neuanfang für Syrien nach jahrelanger Diktatur gelingt durch Regelung, durch Verfassungsregelung»  Schoeller-Schletter: «Es geht speziell im Verhältnis vom Bürger zum Staat, dann um die Frage der Justiziabilität und der Einklagbarkeit und der Realität von Rechten der einzelnen Person. Wenn ein Staat das nur auf Papier hat, aber keine staatlichen Organisationen, die das auch liefern, ist logischerweise das Vertrauen in ein Verfassungsdokument nach kurzer Zeit erodiert.» Liegt die Wirkmacht einer Verfassung darin, dass sie in einer selbständigen Rolle auch ein Instrument sein kann, um die Probleme der staatlichen Organsationen zu lösen?.- Naeem: «Definitiv nicht, (..) ich halte die Verfassungsprozesse der letzten Zeit für hochproblematisch. Beispiel Jemen (..) unter der Leitung der UN gab es eine fertige Entscheidung, dass das Land so geteilt wird. Die Verfassungskommission durfte sich gar nicht mit der Frage der Teilung des Landes beschäftigen. Das hat zu einer Art Chaos geführt, (..) dass damals die Huthi Sanaa überrannt haben im September 2015. Und da war die politische Frage, wie man mit den Huthi verhandelt, total weg. (..Diese Prozesse zeigten), dass man von Seiten der internationalen Gemeinschaft sagt: Ihr müsst euch über eine Verfassung einigen, weil die internationale Gemeinschaft ganz genau weiss, dass die politischen Probleme vielleicht nicht lösbar sind. (Das braucht) auch Kompromissbereitschaft (..) von den regionalen und internationalen Mächten. (..) Die kurzen Verfassungsprozesse, wie wir sie erlebt haben, haben nicht funktioniert. Keine Verfassungskommission im Nahen Osten hat mehr als sechs Monaten Zeit gehabt. (..) Die politische Stabilität kommt durch die Kompromisse, die man erreicht und nicht durch den Text der Verfassung»». Schoeller-Schletter: «Letztendlich geht es um die Verteilung von Macht und letztendlich um den Zugriff auf Ressourcen. (..Wichtig wäre), wenn man die Verfassungen verstehen würde als eine Einigung auf Spielregeln bei der Verteilung und Ausübung von Macht.» - Naeem: «Nach 29 Jahren Arbeit im Bereich von Verfassungsrecht neige ich dazu, dass man wieder zur politischen Arbeit gehen muss. (..) Erstmal müssen politische Lösungen für diese Länder gefunden werden. Die Begrenzung der Macht, das muss erstmal politisch ausgearbeitet werden.» Schoeller-Schletter «Es ist grundsätzlich problematisch, (..) wenn man Demokratie als ein Gesamtpaket westlicher Werte verkauft, das kann nicht klappen. (.. Vielmehr sollte man) den Rechtsstaat als Spielregeln verstehen, anstatt wertebetont oder untermauert mit westlichen Werten, also kulturneutral, ähnlich wie Mathematik, und dann sehen, dass der Rechtsstaat dort auch nicht mehr oder weniger scheitert als in anderen Regionen der Welt».

    45 min

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Der Podcast von Tim Guldimann nimmt aus Politik und Gesellschaft relevante Fragen auf, die über die Tagesaktualität hinausgehen. Die prominenten Gesprächspartner – jeweils eine Frau und ein Mann – sind selbst im Themenbereich aktiv tätig. Monatlich werden laufend zwei neue Debatten aufgenommen. Tim Guldimann leitete Friedensmissionen im Kaukasus und Balkan, war Schweizerischer Botschafter in Teheran und Berlin und war danach bis 2018 Schweizerischer Parlamentsabgeordneter.

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